2369 - Quartier Lemurica
während meines letzten Aufenthalts hier bereits das eine oder andere Wort auf privater Ebene mit ihm wechseln."
„Ich bin neugierig, was heute herauskommt", sagte ein anderer Adept, ohne auf Kinz' Worte einzugehen. „Die Drohgesten des Rats werden immer deutlicher."
Waren denn die Spannungen zwischen jenen beiden Parteien, die die Geschehnisse im raphanischen Reich seit Jahrtausenden bestimmten, tatsächlich so groß, wie gemunkelt wurde?
Aheun musste einmal mehr zur Kenntnis nehmen, dass er enormen Nachholbedarf besaß, was sein politisches Verständnis betraf. Was er über das Verhältnis des Rats zum Ordin während der Schulzeit gelernt hatte, war längst vergessen oder verdrängt.
Seit seiner Aufnahme im Kobel kümmerte er sich erst recht nicht um Wirtschaft, Politik oder allgemeine Nachrichten.
Wenn er sich einmal von Rezepten und Büchern losreißen konnte, entspannte er sich vor dem Trivid und verfolgte Endlosserien wie „Kinder des Glücks".
Das Format beeindruckte ihn, denn es zeigte, so vermutete er, wie das Leben in Adur Bravuna und den anderen Megalopolen tatsächlich verlief.
Zusammenhalt, vielerlei Schicksalsschläge, Intrigen und Familienglück bildeten die Basis eines herkömmlichen Raphanenlebens.
Familienglück ...
Mehr als einmal hatte Aheun bereits darüber gegrübelt, ob seine leiblichen Eltern noch lebten.
Würden sie ihn wieder erkennen? Würden sie sein Leben akzeptieren? Waren sie reich, oder lebten sie in Armut?
Eine Antwort auf all diese Fragen konnte lediglich der Ordin-Rechner geben. Und dieser stand bloß den Ordin-Priestern zur Verfügung. Beziehungsweise dem Obersten Ordinal, der die Steuerung der Maschine aktivieren konnte.
Dienst-Robtrix führten sie zum Balkon des runden Versammlungsraumes. Die Plätze, an die sie gebeten wurden, ,boten eine ausgezeichnete Sicht auf das seltsame Treffen zwischen Ordin und Rat.
Hier standen einfach gekleidete Priester, mit dem berühmten Sim Avalank an der Spitze. Ihnen gegenüber warteten 36 prunkvoll gekleidete Stadtbewohner, die meist bunte Turbane um ihre Häupter gewickelt hatten.
Aheun fühlte die gegenseitigen Animositäten. Die Ratsmitglieder strahlten Überheblichkeit aus, wirkten aber gleichzeitig angespannt. Die Ordin-Priester hingegen gaben sich betont gelassen, ohne ihre Angstgerüche verbergen zu können. „Wir können die Situation nicht mehr länger so hinnehmen", sagte ein gebrechlicher Städter mit rotgrünem Turban. „Das Ordin schwelgt in Luxus, während zweiundvierzig Milliarden Raphanen seit Jahr und Tag Rationalisierungen und Einschränkungen vorgeschrieben bekommen." Er machte eine Pause und hustete angestrengt, bevor er fortfuhr. „Von Adur Bravuna aus blicken wir neidvoll auf offenen Raum; auf spielerisch angelegte Gärten, auf Gemüseund Früchtefelder. Das Ordin verfügt über mehr als eintausenddreihundert Quadratkilometer Fläche, die einem weitaus wichtigeren Zweck als dem des Müßiggangs für dickleibige Priester zugeführt werden sollte ..."
„Das Ordin und seine Priester lassen sich nicht beleidigen", unterbrach Sim Avalank sein Gegenüber mit fester Stimme. „Wenn die üblichen Beschwerden über unsere angebliche Verschwendungssucht der einzige Grund sind, aus dem wir uns hier treffen, dann betrachte ich das Gespräch als beendet, Torn Mixnak."
Torn Mixnak.
Aheun erinnerte sich dumpf an den Namen, den er wohl während des Schulunterrichts aufgeschnappt hatte. Es diskutierten also der Oberste Ratsmann und der Oberste Ordinal. Alle anderen Ratsmitglieder und Priester waren nichts anderes als Staffage.
Zwei Greise, beide mehr tot als lebendig, entscheiden also, was auf Arkan-Raphan zu geschehen hat!, schoss es Aheun durch den Kopf.
Rasch verdrängte er den blasphemischen Gedanken. Ängstlich blickte er sich um, als könne einer der anderen Priester seine Gedanken lesen. „Die Bravunarer darben!", wiederholte Torn Mixnak seine Vorwürfe. „Die Geburtenrate ist beständig hoch. Jedes Jahr verzeichnen wir in der Hauptstadt einen Geburtenüberhang von drei bis vier Millionen Raphanen. Die Robtrix kommen mit den von uns angeregten Bauvorhaben kaum nach. Sosehr wir uns nach oben und nach unten hin ausdehnen - das Ende aller Bemühungen ist absehbar. Der Zusammenbruch des raphanischen Systems steht bevor."
„Das ist lächerlich!" Sim Avalank klopfte mit seinem Stock energisch auf den marmornen Boden. „Würde der Rat die ihm übertragenen Aufgaben ernst nehmen, so wüsste er, wie die Lösung
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