24 - Ardistan und Dschinnistan I
einer tat das nicht, nämlich der Denkmalsreiter. Der war total betrunken, und doch sprach sich der Spiritus auch bei ihm in ganz individueller Weise aus, nämlich durch Vergrößerung der Selbstüberhebung. Der Mann saß steif an seiner Stelle, stierte nur grad vor sich hin und lallte immerfort: „Ich bi – bi – bin nicht nur der Mi – Mi – Mir von A – A – Ardistan, sondern sogar der Mi – Mi – Mir von Dschi – Dschi – Dschinnistan!“
Draußen war es dunkle Nacht. Die Sterne leuchteten, und die Sichel des Neumondes, dünn wie ein Strich, stand grad über dem Weg, auf dem wir nach der Stadt gekommen waren. Wir gingen über den freien Platz hinüber, direkt in den Tempel, dessen Tor offenstand. Ein Diener war dabei, der mit eintrat und es hinter uns gleich wieder verschloß.
Nun standen wir in einem großen, weiten Raum, der nach keiner Richtung hin eine Grenze zu haben schien. Es herrschte tiefste Finsternis. Nur wenn man das Auge nach oben richtete, sah man zwischen den Säulen, welche das Dach trugen, die Sterne herunter, wie aus einer anderen Welt herein in das dichte Dunkel leuchten. Da wurde in der Mitte des Raumes, also in der Säule, welche die Decke trug, ein Licht angezündet. Das sah so klein, so winzig aus, in der großen, unendlich scheinenden Finsternis kaum zu bemerken. Das war der Anfang der Geschichte dieses Tempels, der Beginn des Gottesglaubens unter den Ussul. So winzig klein das Lichtchen war, man sah es doch, wenn man auch nicht wußte, woher es kam und was es zu bedeuten hatte. Und man ahnte, ja, man fühlte und man war überzeugt, daß sich dort, wo es entstand, etwas Lebendiges, Gütiges und nach Erleuchtung Trachtendes bewege. Ein zweites Licht entstand, ein drittes, viertes, fünftes. Eines half dem anderen, die Dunkelheit zurückzudrängen. Es gesellten sich noch mehrere hinzu. Im Dämmerschein, den sie verbreiteten, wurde nun auch das Wesen sichtbar, durch welches sie hervorgerufen wurden. Es war ein weibliches – die Priesterin. Ein weißes Gewand umhüllte sie, und glänzend weiß floß ein Schleier rundum von ihrem Haupt herab, der bis auf die Knie herniederreichte. Er umhüllte sie vollständig; er machte sie zum scheinbar undurchdringlichen Geheimnis. Aber aus diesem lichtgewordenen Rätsel heraus ertönte jetzt eine liebe, auffordernde Stimme: „Kommt her zu mir!“
Das klang so eigentümlich, so geisterhaft durch den weiten Raum, in dem es nicht eine Spur von Widerhall gab. Es war, als ob diese Aufforderung gesprochen sei, um in grenzenlose Fernen hinauszugehen. Es erfaßte mich eine ganz eigenartige Regung, die nicht aus mir zu kommen, sondern mich von außen her zu ergreifen schien. Ich fühlte mich an heiliger Stelle. Es war mir, als ob es hier unmöglich sei, über gewöhnliche, gleichgültige Dinge zu sprechen. Wir gingen hin zu ihr. Sie war so hoch und so stolz gebaut wie Taldscha, und als sie nun ihren Schleier lüpfte, sah ich, daß sie älter, viel älter war als diese. Sie war weder schön noch häßlich; aber sie hatte das Gesicht einer Denkerin, und aus der Tiefe ihrer Augen blickte jenes Wohlwollen, welches nicht nur angeboren, sondern noch viel mehr auch eine Frucht der innerlichen Betrachtung ist.
„Ich grüße dich!“ sagte sie. „Du bist unser Gast, also auch der meine, hier in diesem Gotteshaus.“
Ich verbeugte mich vor ihr, als ob sie eine Fürstin sei; ich konnte nicht anders. Geschah das, weil wir uns in einem Tempel befanden? Oder war es nur der Eindruck ihrer Persönlichkeit, die Wirkung davon, daß ich jetzt in ihrer seelischen Atmosphäre atmete?
„Er ist soeben Ussul geworden!“ berichtete die Frau des Scheiks.
„Also doppelt willkommen!“ sagte die Priesterin, wobei ihrem Schleier ein kleines, feines Händchen entschlüpfte, welches sie mir entgegenstreckte. Ich zog es an meine Lippen, ohne antworten zu können, denn sie fuhr fort: „Ussul nur äußerlich! Mit dem Geist nicht! Aber, wie ich hoffe, mit dem Herzen um so mehr!“
„Das gehört euch allerdings“, sagte ich nun, „von dem ersten Augenblick an, seit ich eure Herrin sah.“
Hierbei deutete ich auf Taldscha; die aber entgegnete:
„Eure Herrin? Die bin ich nicht. Die steht hier.“
Sie hob die Hand gegen die Priesterin hin, welche diesen Fingerzeig mit der Erläuterung geschehen ließ:
„Wir beide lieben uns. Wir sind Freundinnen. Da gibt es keine Unterschiede, keine Herrin und keine Untergebene. Wir dienen beide, sie und ich! Heute ist mein
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