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24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Dienst besonders schwer. Aber der Sahahr hat Opium genommen, um schlafen zu können. Da fand ich Zeit, zum Tempel zu gehen.“
    Sie machte eine Rundbewegung mit dem Arm und fuhr dabei fort:
    „Du befindest dich hier inmitten unseres Glaubens, unserer Religion. Sie bietet dir, wie du siehst, nur einige kleine, mehr als bescheidene Lichter, die sich vergeblich bemühen, die Finsternis zu durchdringen. Das ist der Anfang. Das ist die Sehnsucht, dem Dunkel zu entfliehen. Das sind die ersten Stufen, zu Gott emporzusteigen. Ich rief dich hier in diese Finsternis, um dir ehrlich zu sagen, daß wir uns nicht vermessen, schon Klarheit zu besitzen; nun aber sollst du auch mit hinauf zu unserem Himmel steigen. Hast du ihn schon gesehen?“
    „Nein.“
    „Und willst du mit uns kommen?“
    „Ja! – Gern!“
    „So mußt du helfen, das Licht zu vermehren. Wir brauchen es beim Steigen.“
    Sie gab dem Diener, der vorn am Eingang stehengeblieben war, ein Zeichen. Wir hören das Geräusch von Rollen, die sich bewegten. Er ließ von oben einen Leuchter herab, der viele Lichte trug, die wir anzuzünden hatten. Ich half mit. Als dies geschehen war, begannen wir, nach oben zu steigen. Ich habe die Treppe bereits erwähnt, die aus einzelnen Gliedern oder Abteilungen bestand. Sie war nicht sehr breit, aber auch nicht unbequem. Da ich sie noch nicht kannte, nahmen mich die beiden Frauen in die Mitte: die Priesterin ging voran, dann ich, und Taldscha folgte. Während wir dies taten, zog der Diener den Leuchter in genau dem gleichen Tempo empor, so daß immer der Teil der Treppe, auf dem wir uns befanden, hell beleuchtet war. Am letzten Haltepunkte unter der Plattform angekommen, gab die Priesterin das Zeichen, den Leuchter wieder hinabzulassen. Als er zu sinken begann, sagte sie:
    „Wir sind von Gleichnissen umgeben. Aus Himmelsnähe steigt unser Licht hinunter in die Tiefe. So verläßt die Offenbarung ihre Heimat, um nach der Erde zu trachten. Und je mehr sie sich ihr nähert, desto kleiner und ärmer und schwächer scheint sie zu werden, bis sie fast ganz in Finsternis verschwindet. Schau hinab!“
    Der Leuchter war unten angekommen. Man konnte die Lichter nicht mehr unterscheiden. Der Schein, der von ihnen ausging, war kaum zu sehen. Er bildete nur eine kleine, nebelige Stelle in der allgemeinen großen Finsternis. Es erregte ein bängliches Gefühl, da hinabzublicken. Die Priesterin schien dieses Gefühl schon oft beobachtet zu haben, denn sie sprach:
    „Wer da hinuntersieht, der hält es wohl für möglich, daß es Gott um seine Liebe, welche er zur Erde schickt, zuweilen angst und bange wird. Kommt, laßt uns unsern Himmel sehen!“
    Wir stiegen die letzten Stufen vollends empor. Oben gab es eine Plattform mit Geländer. Mehrere Sitze standen da. Darüber zog sich ein kleines, aber vollständig schützendes Dach. Wir setzten uns nieder und hielten Umschau. Ja, die Priesterin hatte recht! Sie hatte sich ganz richtig ausgedrückt, als sie von dem Himmel sprach, den man hier oben schaue! Zwar war da nicht nur der Sternenhimmel über uns, sondern auch noch ein ganz anderer Himmel gemeint, der nur innerlich zu sehen und zu fühlen ist; aber schon der erstere genügte vollständig, uns dafür zu entschädigen, daß wir heraufgestiegen waren.
    Diese Klarheit des Firmaments! Diese Reinheit seiner Lichter! Obgleich wir uns in einer Gegend befanden, deren feuchter Dunst der durchdringenden Kraft der Strahlen eigentlich feindlich ist! Ich saß mit dem Rücken nach Süd, schaute also nach Norden, wo Ardistan liegt und über ihm sich Dschinnistan erhebt. Grad hinter meinem Haupt leuchtete das berühmte Kreuz des Südens. Links über mir hatte ich die Sterne des Centaurus, weiter draußen die Waage und die Jungfrau mit der weithin strahlenden Spica. Fast grad im Norden schimmerte der Rabe, etwas weiter nach rechts der Becher und der Kelch, etwas zurück die Wasserschlange, an Helligkeit aber weit übertroffen von dem noch östlicher kreisenden Herzen. Ich hätte wohl gern noch weitergesucht und die Frauen nach den hiesigen Namen all dieser Sterne gefragt, wenn meine Aufmerksamkeit nicht von der Priesterin auf einen besonderen Punkt gerichtet worden wäre, der weit über den Raben hinaus im Norden lag. Sie deutete mit dem ausgestreckten Arm dorthin und sagte:
    „Merkt auf! Es scheint zu beginnen. Ich glaube, daß wir zur rechten Zeit gekommen sind.“
    „Was wird beginnen?“ fragte ich.
    Sie brauchte nicht zu antworten, denn der Himmel

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