24 - Ardistan und Dschinnistan I
der Erde.
„Sihdi, ist das nicht wunderbar?“ fragte Halef. „Klingt das nicht, als ob unser Kommen hier vorbereitet sei?“
„Nichts ist wunderbar“, antwortete ich ihm, „wenigstens nicht hier in diesem Land. Ich bin überzeugt, daß wir noch Dinge erleben werden, welche dir zehn- und zwanzigmal wunderbarer erscheinen werden, als diese ganz unerwartete Frage nach meinem Schild oder dieses Marmormonument, das sich öffnet, um Menschen aus der Erde steigen zu lassen.“
„Er sagte, er habe die Frage von seinem Vater und seiner Mutter geerbt. Also haben schon diese gewußt, daß wir kommen!“
„Wir? Gewiß nicht! Es war ihnen bekannt, daß jemand aus Sitara kommen werde, der einen ihm von Marah Durimeh mitgegebenen Schild besitzt. Daß gerade wir dies sein werden, hat sich erst später herausgestellt.“
„Horch! Er kommt! Was wird er bringen?“
Der Dschirbani kehrte zurück. Er hielt ein ungewöhnlich großes, ledernes Etui in der Hand, welches er öffnete und uns dann zeigte.
„Das ist dein Schild, Sihdi!“ rief Halef aus. „Ganz genau dein Schild! – Dasselbe Metall und auch dieselbe Form!“
Es war genauso, wie er sagte. Das Etui enthielt ein vollständig genaues Duplikat meines Schildes. Ich zog letzteren unter der Weste hervor, um nachzuweisen, daß beide einander glichen. Es war nicht der geringste Unterschied zu entdecken.
„Es ist richtig! Es ist genauso, wie ich dachte!“ jubelte der Dschirbani. „Steigt voran, bis ihr Licht zu sehen bekommt! Ich folge dann sofort nach, sobald ich die Tür verschlossen habe.“
Er winkte nach den Stufen. Ich band die Hunde an zwei Säulen und gab ihnen zu verstehen, daß sie hier zu warten hätten. Sie begriffen was ich meinte und legten sich nieder. Hierauf stieg ich mit Halef die Stufen hinunter. Ich vergaß sie zu zählen; mehr als zehn aber waren es auf jeden Fall, denn der unterirdische Raum, nach dem sie führten, trug eine wenigstens sechs Fuß hohe Erddecke über sich und war dennoch so hoch, daß der Dschirbani, der doch viel größer war als ich, sich bewegen konnte, ohne sich bücken zu müssen. Sie führten zunächst in eine kleine, viereckige Stube, welche von dem Fundament der Marmorsäule gebildet wurde. Da standen einige Körbe und Kisten; weiter war nichts zu sehen. Ein schmaler, gerader Gang leitete weiter; es war finster, doch von da, wo er mündete, glänzte uns Licht entgegen. Indem wir diesem folgten, gelangten wir erst in einen kleinen, dann in einen bedeutend größeren und hierauf wieder einen kleinen Raum, die alle drei durch brennende Sesamöllampen ziemlich hell erleuchtet waren. Man sah sofort, daß die beiden kleineren als Vorratskammern dienten. Der größere aber glich dem Arbeitszimmer eines Gelehrten. Man sah Bücher, Karten, Pläne, Schreibzeug, allerlei Geräte mit bekanntem oder unbekanntem Zweck, eine Menge ärztliche, physikalische, chemische und andere Instrumente, auch orientalische und europäische Waffen. Diese letzteren bestanden allerdings nur in einem Doppelgewehr und zwei Revolvern, die aber, obgleich fast veraltet, von vorzüglicher Konstruktion waren und für die hiesigen Verhältnisse einem jeden, der sie zu führen verstand, ein bedeutendes Übergewicht sicherten. Wo kamen all diese hochwichtigen Dinge her? Es ist wohl nicht erst nötig, zu bemerken, daß sie mein lebhaftes Erstaunen erregten.
Da kam der Dschirbani uns nach. Er sagte:
„Wundert euch nicht über diese geheimnisvollen Räume. Und wundert euch auch nicht über die Unbedenklichkeit, mit der ich sie euch sehen lasse. Ich wurde von meinem Vater unterwiesen, so und nicht anders zu handeln, doch ohne daß ich weiß, warum und wozu. Er verschwand; er soll ermordet worden sein. Ich glaube es nicht; ich glaube es nicht! Er war kein Mann, der sich beschleichen, überlisten und ermorden läßt! Dann starb auch meine Mutter; man sagt, aus Gram um seinen Verlust. Ich glaube auch das nicht, ich glaube es nicht! Sie hat nie und nie behauptet, daß sie ihn verloren habe! Ich weiß bestimmt, daß sie überzeugt und sicher war, ihn wiederzusehen. Sie grämte sich nur über den Haß ihres Vaters und über die seelische Trennung von ihrer Mutter. Als ich kurz vor ihrem Tod für eine Woche Abschied von ihr nahm, um einen Besuch bei verwandten Ussul zu machen, schärfte sie mir noch einmal alle Vorschriften des Vaters, die sich auf diese beiden Schilde beziehen, mit einem so auffallenden Nachdruck, ein, daß sie unbedingt gewußt hat, was dann
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