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24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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und sich das Wasser aus dem Fell schüttelten. Die Insel war ziemlich groß. Wir sahen zunächst nichts als Busch und Gras, und zwar alles verwildert. Der Besitzer war ja gefangen gewesen, und niemand hatte sich um sein Eigentum gekümmert. Heut aber war er wieder da. Wir sahen seine Spur, die durch das hohe Gras führte, und folgten ihr. Es ging durch höheres Gebüsch und dann unter Bäumen hin. Da merkte man nun wohl, daß diese Bäume ihre Plätze nicht von der Natur, sondern von einer künstlerischen Berechnung angewiesen bekommen hatten. Es gab Gruppen, welche nicht nur schön, sondern sogar reich und prächtig wirkten. Unter hohen, riesenblättrigen Linden lag ein zwar niedriger, aber köstlich ausgedachter und ausgeführter Bangalo (indisches Landhaus), der erfreulicherweise nicht aus dem gewöhnlichen, schnell vergänglichen Material derartiger Wohnungen, sondern aus besserem und haltbarerem bestand. Als ich es untersuchte, sah ich, daß es Holz war, welches jahrhundertelang im moorigen Wasser gelegen hatte und hart und schwer wie Stein geworden war. Alles, nicht nur die Pfeiler, Säulen und Balken, sondern ebenso auch kleinere Teile, sogar die Verzierungen, bestanden aus diesem Holz. Welche Mühe hatte diese schwere, harte Arbeit gemacht! Der Dschinnistani war der Erbauer. Er hatte die Tochter des Sahahr so lieb gehabt, daß ihn nur das schönste und gesündeste Haus des ganzen Landes gut genug zur Wohnung für sie gewesen war. Und dies war der Bangalo gewiß!
    Die Türe war zu, und man konnte nicht hinein. Auch die Läden waren verschlossen. Niemand war zu sehen. Ich rief. Niemand ließ sich hören. Aus allem, was man sah, sprach der Geist und der Geschmack des Dschinnistani. Aber gab es außer diesem Geist denn wirklich niemand hier? Die Spur führte hier herein, in das Haus, aber nicht wieder heraus. Darum fiel es uns auf, daß wir keine Antwort erhielten. Wir gingen weiter, über den freien Platz, auf dem der Bangalo stand, zwischen blühenden und duftenden Sträuchergruppen hindurch. Da sahen wir ihn, den See, den Teich, den Weiher, von dem mir erzählt worden war. Wir blieben sofort stehen, ganz entzückt von dem Anblick, der sich uns bot.
    Wir standen am südlichen Ufer des Sees, der fast ganz mit Lotosblumen bedeckt war. Zwischen ihnen glänzten wunderbar gefärbte Blütenrispen, deren Namen ich nicht kannte. Sie waren der amerikanischen Thalia dealbata ähnlich. Phantastisch schön wirkten die zweiteiligen, hell glänzenden Ähren einer noch wenig bekannten, indischen Aponogetonart. Es war ein Farbenreichtum, eine Farbenfrische und eine Farbenpracht sondergleichen! Aber alle diese Herrlichkeit entfaltete sich aus stehendem Wasser, auf sumpfigem Boden, und all diesen Blumen muß doch, so schön sie sind und so heilig sie gehalten werden, jene feine und reinere, jene zugleich höhere und tiefere Art der Herzenswirkung abgesprochen werden, durch welche die auf gutem, festem Land erzeugte Blume zu uns redet. Die Lotosblume ist Sumpferzeugnis, ist einfach nur irdisch schön. Die bildliche Bedeutung, die sie besitzt, wurde ihr nicht von der Natur gegeben, sondern künstlich in sie hineingelegt. Aber Blumen, wie unser Schneeglöckchen, unser Veilchen, unser Maiblümchen, die ganze liebe, herrlich duftende Reihe bis zu unsern Rosenköniginnen hinauf, sie alle wirken edler, reiner, keuscher, inniger. Wer mit mir glauben kann, daß auch die Blumen Seelen haben, dem könnte ich das allerdings noch viel deutlicher sagen.
    Also, wir standen an der Südseite des Weihers. Rechts und links schoben sich Baum- und Strauchpartien heran, die ganz wie Kulissen wirkten, indem sie unsern Blick verhinderten zur Seite abzuweichen und ihn zwangen, sich auf die Perspektive zu richten, die sich vor ihm entwickelte. Grad vor uns stand, diese Perspektive ganz verhüllend, ein zwei Meter breites und über vier Meter hohes, vierseitiges Prisma, aus weißen Marmorquadern zusammengesetzt und auf allen vier Seiten mit glänzend tiefschwarzen Inschriften versehen. Dieses große Prisma war von einer ganzen Menge kleinerer Säulen umgeben, die auch Inschriften trugen. Wir lasen sie. Die auf den kleineren Säulen stehenden Zitate waren den vier Vedas, der Zend Avesta, den fünf King der Chinesen, der Bibel und dem Koran entnommen. Die Inschriften des Prisma schienen andern Ursprunges zu sein. Indem wir sie betrachteten, sahen wir zunächst vier Überschriften, von denen zwei und zwei miteinander zu korrespondieren schienen. Nach Süden

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