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24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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folgte. Sie starb sehr kurz nach meiner Entfernung und war, als ich zurückkehrte, schon begraben. Die Verwesung hatte verboten, die Leiche aufzubewahren. Von heute an bin ich verpflichtet, meinen Schild zu tragen, wie du den deinen.“
    Er hing ihn sich um den Hals. Dabei sah ich, daß er so, wie mir erzählt worden war, ein Buch auf seiner Brust trug. Er bemerkte, daß mir das nicht entgangen war. Darum erklärte er mir:
    „Mein Vater hat einige Bücher für mich geschrieben, die meine Wegweiser sind. Ich kann mich nicht von ihnen trennen und trage stets eines von ihnen auf meinem Herzen. Sie sind die Wohnungen seines hohen, edlen, weitschauenden Geistes, und ich besuche ihn da, sooft ich kann, um demütig zu seinen Füßen kniend auf seine Worte zu lauschen.“
    Er steckte einige chirurgische Instrumente und ein Paket Verbandbast zu sich, gab uns jedem ein brennendes Licht in die Hand, blies die Lampen aus und forderte uns dann auf, ihm zu folgen. Er führte uns durch einen gleichen, aber längeren Gang nach einer zweiten Stube, in welcher er nur kurz verweilte, um ein Schränkchen zu öffnen und ihm einen kleinen Gegenstand zu entnehmen. Diese Gänge, Stuben und Kammern waren alle aus dem schon erwähnten versteinerten Holz gebaut und darum frei von jeder Feuchtigkeit. Der Gegenstand, den er aus dem Schränkchen genommen, war eine geschliffene Glasphiole, aus der er nur einen einzigen Tropfen in ein winziges Fläschchen gab, um sie dann wieder einzuschließen. Trotz des kurzen Augenblicks, den die Phiole geöffnet gewesen war, verbreitete sich ein unbeschreiblich feiner, belebender, ja entzückender Duft um uns her. Ich kannte ihn nicht, ich hatte ihn noch nie und nirgendwo gespürt. Sein Name stand in keinem Verzeichnisse aller Wohlgerüche der Erde geschrieben. Und dennoch war es mir, als hätte ich ihn schon gespürt, vielleicht schon oft, aber aus unendlich weiter Ferne. Halef sog die Luft in vollen Zügen ein, machte sein begeistertstes Gesicht und rief:
    „Welch ein Duft! Ich glaube, nur noch ein wenig mehr, so kommt die Ekstase; man wird Dichter und Prophet und verfällt in Vision. Darf man den Namen dieses Wohlgeruches erfahren?“
    „Kommt er dir unbekannt vor?“ fragte der Dschirbani, indem er das Fläschchen sorgfältig einwickelte und in die Tasche steckte.
    „Vollständig unbekannt!“ versicherte der Hadschi.
    „Du hast es aber schon oft genug gerochen!“ versicherte der Dschirbani.
    „Unmöglich!“
    „Es stinkt sogar! Du hast dir die Nase zugehalten!“
    „Nein! Sag mir den Namen!“
    „So erschrick aber nicht! Es ist – der Tod!“
    „Der – Tod –?“ fragte Halef. Dann war er still, ich auch.
    „Ja, der Tod!“ fuhr der Sohn des Dschinnistani fort. „Untersucht das Land, in dem wir wohnen! Was findet ihr weiter als Moder, Verwesung, Schimmel und Gestank? Und was findet ihr weiter als Leben, Schönheit, Kraft, Unsterblichkeit und Duft? Heut sage ich: Das Leben duftet, der Tod aber stinkt! Und morgen sage ich: Der Tod duftet, das Leben aber stinkt! Was von beiden ist richtig? Ich sage, beides! Denn Leben und Tod sind eins. Man kann nicht leben, ohne immerfort zu sterben. Und man kann nicht sterben, ohne dabei das Leben zu erneuern. Merke dir es, o Hadschi Halef Omar, daß du nicht an deinem letzten, sondern an deinem ersten Atemzug stirbst! Und du hast dafür zu sorgen, daß nicht etwa beide stinken, dein Leben sowohl wie dein Tod, sondern daß beide duften. Du lebst, indem du ohne Unterlaß verwest. Du hast den Gestank dieser Verwesung in Duft zu verwandeln, wie es dort in der Phiole und hier in diesem winzigen Fläschchen geschehen ist. Tust du das, so sind Tod und Leben in deine Hand gegeben, wie ich beide in der meinen halte, wenn ich das Fläschchen bei dem Sahahr öffne, um ihn für kurze Zeit zu töten, damit er gegen den Schmerz des Lebens unempfindlich sei. Kommt weiter!“
    Der Gang, dem wir nun folgten, war noch länger als der vorherige. Das Ende bestand in einem ähnlichen Stübchen wie dasjenige war, welches unter dem Monument lag. Auch hier führte eine Reihe von Stufen empor. Der Dschirbani stieg voran. Mit der einen Hand leuchtend, hob er mit der andern eine Falltür auf, die, wie wir bald sahen, in eine abgelegene Stubenecke des Bangalo mündete. Ich blieb stehen und wartete, bis er die Läden öffnete. Ich betrachtete die Falltür. Sie bestand aus einer doppelten Balkenlage des schon erwähnten versteinerten Holzes und war so stark und dick gemacht worden,

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