24 - Ardistan und Dschinnistan I
damit nicht etwa der Widerhall der Schritte verrate, daß sich ein hohler Raum unter ihr befinde. Sie war also nicht leicht, sondern weit mehr als nur einen Zentner schwer. Und das hatte er wie spielend mit einer Hand gehoben! Das hatte ich bemerkt. Und deshalb war ich stehengeblieben, um sie mir anzusehen. Ich schämte mich fast, mich bisher für einen kräftigen Menschen gehalten zu haben!
Es war nicht seine Absicht, im Bangalo zu bleiben, vielleicht um uns den innern Bau des Hauses zu zeigen. Als er die Falltür geschlossen hatte, machte er auch die Fenster wieder zu und führte uns in das Freie, wo wir vorher gestanden und nach ihm gerufen hatten, ohne gehört worden zu sein. Er verschloß die Tür des Hauses mit einem Schlüssel, der ganz genau jenen Tempelschlüsseln des Altertums glich, von denen wohl nur sehr wenige ausgegraben worden sind. Man kennt ihre Form nur aus den Abbildungen auf altertümlichen Gefäßen.
Hierauf kehrten wir nach der Marmorsäule zurück, um die Hunde loszubinden. Sie lagen ruhig an ihrer Stelle und hatten sich wohlverhalten. Wir spazierten von da um den Weiher herum nach dem Grab. Unterdessen erklärte er uns die Gründe seines heutigen Verhaltens:
„Die unterirdischen Räume, die ihr gesehen habt, hat mein Vater gebaut, und zwar in größter Heimlichkeit. Niemand kennt sie, und niemand weiß, was für Gegenstände sich auf der ‚Insel der Heiden‘ befinden. Welche Zwecke er hierbei verfolgte, ist mir heut noch nicht klar, aber ich weiß, daß sie auf alle Fälle gut und lobenswert gewesen sind. Seine Kenntnisse machten ihn jedem Ussul, auch dem Zauberer, überlegen, und es konnte nicht seine Absicht sein, diesen Leuten Werkzeuge in die Hände zu geben, deren Anwendung ihnen geschadet hätte. Daß man so unbemerkt vom Bangalo nach dem Monument gelangen konnte, war sehr vorteilhaft. Mein Vater konnte, ohne gesehen zu werden, alles hören, was dort gesprochen wurde. Und besonders während der Belagerungen, wo die Tschoban das Haus umstellten, brachte es große Vorteile, daß es ihm trotzdem möglich war, es jederzeit zu verlassen. Vieles, wie zum Beispiel das Doppelgewehr, die Revolver und eine Menge von Patronen, die dazugehören, hat er nicht für sich, sondern für mich von seinen Reisen mitgebracht, obgleich ich damals noch ein kleines Knäblein war. Er bestimmte es zur Ausrüstung für die Aufgabe, die er mir hinterlassen hat.“
„Ist es mir erlaubt, mich nach dieser Aufgabe zu erkundigen?“ fragte ich.
„Du darfst. Du hast sogar das Recht dazu, denn du sollst höchstwahrscheinlich mein Begleiter sein. Du willst zum Mir von Dschinnistan, ich auch. Nach dem Grund, der dich zu ihm führt, will ich dich nicht fragen, denn du stehst hoch über mir und hast mir keine Rechenschaft zu geben, und ich bin überzeugt, daß du es mir freiwillig sagen wirst, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Von mir aber will ich dir offen, doch unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertrauen, daß die Zeit, wenn ich nach Dschinnistan aufzubrechen habe, ganz genau bestimmt ist. Nämlich sobald ich erfahre, daß der Mir von Ardistan gegen den Mir von Dschinnistan rüstet, habe ich nur noch zu warten, bis ein Fremder kommt, der denselben Schild besitzt wie ich. Mit diesem Fremden reite ich; er wird mein Führer und Beschützer sein, dem ich zu gehorchen habe, obgleich mir freisteht, dies auch nicht zu tun. Doch werde ich, sooft ich ihm widerstrebe, zu Schaden kommen, der schwer zu büßen ist.“
„Kennst du Ardistan?“
„Ich war niemals dort, aber ich habe sehr genaue Karten und Pläne, die es sonst nirgends gibt, auch nicht in Ardistan selbst. Sie stammen aus Dschinnistan.“
„Es überrascht mich freudig, dies von dir zu erfahren. Beziehen sich diese Karten auf alle fünf Länder, die zu Ardistan gehören?“
„Ja, und nicht nur auf diese. Ich habe auch eine vom Land der Ussul und eine vom Land der Tschoban, welche beide nicht eigentlich zu Ardistan gehören, sondern ihm nur tributpflichtig sind. Ardistan besteht aus dem eigentlichen Ardistan mit der Hauptstadt Ard, die früher an dem zurückgegangenen Fluß Ssul lag. Es ist umgeben im Norden von Schimalistan, im Osten von Scharkistan, im Westen von Gharbistan und im Süden von Dschunubistan, welches uns am nächsten liegt, weil es an das Gebiet der Tschoban grenzt. Möchtest du diese Karten sehen?“
„Oh, natürlich!“
„So warte! Ich hole sie sofort. Du kannst sie mitnehmen, um sie zu studieren, darfst sie aber niemand
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