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24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sein Pferd an, blickte nachdenklich vor sich hin und brummte:
    „Ja! Deine Frage ist nicht dumm, auch nicht angeboren dumm. Vielleicht verwechsle ich das eine mit dem andern. Oder ich drücke mich nicht richtig aus. Oder die Vergeßlichkeit tritt nicht mit einem Mal ein, sondern langsam, nach und nach. Bei dir ist sie ja schon da, denn du mußt doch zugeben, daß du deine Karten und Schreibereien liegen gelassen hast. Streiten wir uns nicht, sondern warten wir es ab, ob uns das Gedächtnis schwindet oder nicht. Kommen wir lieber auf den Stamm der Ussul zurück, von dem wir sprachen. Kennst du ihn?“
    „Nein“, antwortete ich, indem wir weiterritten.
    „So sei froh, daß ich jetzt die Hauptperson bin! Ohne mich wärst du vollständig verloren, wenn du zu ihnen kommst. Ich weiß nämlich, woran ich mit ihnen bin. Ich habe von ihnen gehört. Nimm dich in acht, Effendi! Die Ussul sind nämlich ein Volk von lauter Riesen. Sie haben Beine wie die Elefanten. Ihre Arme sind so lang und so stark wie zwanzigjährige Baumstämme. Ihre Haare gleichen der Mähne eines Löwen. Ihre Augen glühen wie Laternen. Ihre Stimmen machen den Lärm des Donners, und wenn sie zornig sind, zittert die Erde, auf der sie stehen. Sie wohnen in starken Burgen, die sie nur in das Wasser bauen. Sie leben vom Mord und vom Raub. Sie glauben nicht an Allah und auch nicht an den Teufel, und wer mit ihnen in Streit gerät, ist unbedingt verloren!“
    „Das klingt ja außerordentlich beruhigend! Von wem hast du das gehört? Wohl von demselben Derwisch?“
    „Nein, sondern von anderen Personen, die aber nicht weniger glaubhaft und zuverlässig sind. Es ist ganz unmöglich, einen Mann vom Stamm der Ussul im Kampf zu besiegen. Darum besteht die Leibgarde des Mir von Ardistan nur aus solchen Kriegern, von denen es jeder gut und gern mit dreißig bis vierzig Feinden aufnehmen kann.“
    „So ist es gut, daß wir nicht vierzig sind, sondern nur zwei!“
    „Warum?“
    „Weil sie es da gar nicht versuchen werden, es mit uns aufzunehmen!“
    „Hohnlächle nicht, Sihdi! Was ich weiß, das weiß ich genau, und was ich erzähle, das ist wahr! Als Nebenperson steht es dir überhaupt nicht gut, über das zu lächeln, was die Hauptperson erzählt – was ist? Was gibt es?“
    Diese beiden Fragen sprach er unwillkürlich aus, denn sein Pferd war plötzlich stehengeblieben und ließ ein warnendes Schnauben hören. Auch Syrr, mein Hengst, hielt die Schritte ein, doch ohne ein Zeichen von Angst; er stampfte vielmehr mit den beiden Vorderfüßen, als ob er die Absicht habe, einen Feind mit den Hufen zu zermalmen. Die Augen beider Pferde waren nach der linken Seite gerichtet. Wir sahen nicht gleich, um was es sich handelte. Es war ein sumpfiger Rhizophorenwald, durch den wir ritten, nicht so dicht wie Mangrove- und Manglewälder gewöhnlich zu sein pflegen. Die Stämme, welche der Art Konjugata angehörten, standen ziemlich weit auseinander, schickten aber doch eine solche Menge von Luftwurzeln von oben herab, daß die Aussicht eine sehr gehinderte war. In die angegebene Richtung schauend, bemerkte ich erst nach ziemlich beträchtlicher Zeit, daß eine dieser Luftwurzeln sich ganz eigenartig bewegte. Halef sah es zu derselben Zeit. Er erschrak, streckte den Arm aus und rief:
    „Eine Schlange! Eine Riesenschlange! Wenigstens zehn Meter lang! Siehst du sie, Effendi?“
    „Ja“, antwortete ich. „Es ist eine Peddapoda (Tigerschlange).“
    „Ich werde sie sofort niederschießen, sonst verschlingt sie uns mitsamt den beiden Pferden!“
    Er nahm sein Gewehr zur Hand, um seinen Entschluß auszuführen. Der gute Halef übertrieb auch hier, wie so oft. Man behauptet zwar, daß die Tigerschlange sechs Meter und noch länger werde, diese war aber ganz sicher noch nicht einmal vier Meter lang. Daß sie uns beide mitsamt den Pferden verschlingen werde, war eine jener Vergrößerungen, die der kleine Hadschi liebte. Die Riesenschlange hing mit dem Schwanz oben an einem Baum und bewegte mit nach unten gerichtetem Kopf den Körper in einer Weise, als ob sie irgendeinen Gegenstand in der Luft zu fangen habe. Sie tat das jedenfalls in der Aufregung über unser Erscheinen. Wir konnten zwar nicht sehen, wohin ihr Auge blickte, aber daß sie uns bemerkt hatte, verstand sich ganz von selbst. Ich nahm den Henrystutzen vom Rücken, um nachzuhelfen, falls Halefs Kugel nicht treffen sollte. Es war kein leichtes Zielen, denn der Kopf der Peddapoda blieb keinen Augenblick an derselben

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