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24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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„Du brauchst aber trotzdem nicht hinter mir zu reiten, sondern kannst dich getrost an meiner Seite halten. Du kennst mich doch. Du weißt, daß ich auch als Hauptperson sehr leutselig bin!“
    Der kleine Schlaue wollte mich neben sich haben, um sich nach der Fühlung mit mir richten zu können. Ich ging aber nicht darauf ein, sondern blieb hinter ihm. Das brachte ihn in keine geringe Verlegenheit. Er wußte von meinen Absichten weder Kix noch Kax, wie man sich ländlich auszudrücken pflegt, und war also vollständig unfähig, auch nur die Richtung unseres Rittes zu bestimmen. Darum wandte er sich schon nach kurzer Zeit mit der Bitte an mich zurück:
    „Effendi, sag mir doch wenigstens, ob ich so richtig reite!“
    „Es ist richtig“, antwortete ich. „Immer geradeaus.“
    „Wenn aber ein Sumpf kommt?“
    „So biegen wir um ihn herum.“
    „Es scheint hier überhaupt alles Sumpf zu sein. Ich finde das schrecklich. Die Pferde versinken bis in die Knie!“
    „Um über die morastige Ebene zu kommen, brauchen wir drei Tage.“
    „Drei Tage? Allah erbarme sich! Was gibt es da für Menschen?“
    „Keine. Auf menschliche Wesen treffen wir erst jenseits dieser Niederung.“
    „Welchem Volk gehören sie an?“
    „Dem Stamme der Ussul.“
    „Der Ussul? Weißt du das genau?“
    „Ja.“
    „Ich denke, du hast deine Notizen vergessen? Da kannst du doch nichts wissen!“
    „Warum nicht? Ich habe mir doch sehr viel von dem gemerkt, was ich in den Büchern von Marah Durimeh gelesen und nach ihren Karten mir ausgerechnet habe.“
    „Gemerkt?“ fragte er. „Sihdi, das ist nicht wahr; das glaube ich nicht!“
    „Warum nicht?“
    „Weil ich es besser weiß! Ich habe dir schon gesagt, daß ich Ardistan kenne, und zwar sehr genau. Darum bin ich ja die Hauptperson und reite jetzt voran. Ein jeder, der in diesem Land gewesen ist, der weiß, daß es das Land des Vergessens ist.“
    „Wieso?“
    „Wer es betritt, der vergißt alles, was und wo und wie und wer er vorher gewesen ist.“
    „Wer hat dir das weisgemacht?“
    „Weisgemacht? Ich bitte dich, mich nicht zu beleidigen! Ich habe mit sehr, sehr vielen Leuten über Ardistan gesprochen. Der klügste von ihnen war ein alter, gelehrter und vielgereister Derwisch, der sich über zehn Jahre lang dort aufgehalten hatte und es also sehr genau kannte. Er sagte, daß es mit Ardistan ganz entschieden dieselbe Bewandtnis habe wie mit dem Menschenleben überhaupt.“
    „Wie meinst du das?“ fragte ich ihn.
    „Das will ich dir sofort erklären“, antwortete er. „Du gibst doch zu, daß wir beide nicht aus Ardistan stammen, obwohl wir uns jetzt hier befinden?“
    „Ja.“
    „Ebenso gibst du auch zu, daß wir nicht von der Erde stammen, obgleich wir uns auf ihr befinden?“
    „Einverstanden!“
    „Aber weißt du, wo du gewesen bist, bevor du hier geboren wurdest?“
    „Nein.“
    „Damals aber, wo du dich dort befandest, hast du es gewußt?“
    „Höchstwahrscheinlich!“
    „So hast du es also in dem Augenblick, an dem du geboren wurdest, vergessen. Der alte, kluge Derwisch behauptete, daß die Erde eine Strafanstalt für Geschöpfe sei, die Allah nicht gehorchen wollten. Sobald sie durch das Tor der Geburt in das diesseitige Leben treten, vergessen sie alles Frühere. Sie wissen nicht mehr, wer und was und wo sie gewesen sind, und können sich nur durch unbedingten Gehorsam und unerschütterlichen Glauben, durch treue, ehrliche Arbeit und gute Werke nach dort zurückfinden, woher sie gekommen sind. Glaubst du das, Effendi?“
    „Die Ansicht dieses alten Derwisches ist interessant; man muß über sie nachdenken.“
    „So denke nach! Er sagte, daß es im Leben eines jeden Menschen Augenblicke gebe, an denen ihm die Erinnerung an das vergangene Leben aufleuchte wie ein Blitz, der ebenso schnell verschwindet, wie er kommt.“
    „Und so oder ähnlich ist es auch mit Ardistan?“
    „Ja. Es ist ein Land des Vergessens wie die Erde. Man behauptet sogar, daß das Leben in Ardistan ein ganz genaues Bild des Erdenlebens sei. Du lächelst, Effendi? Ist das, was ich sage, nicht wert, geglaubt zu werden?“
    „Ob wert oder nicht, das kommt hier nicht in Betracht. Weißt du, wer du bist?“
    „Ja. Wozu diese Frage?“
    „Und weißt du, wo wir gestern waren?“
    „Ja.“
    „Und vorgestern und alle die Tage, Wochen und Monate vorher.“
    „Ja.“
    „Du hast es also nicht vergessen?“
    „Nein.“
    „Wie kann da Ardistan das Land des Vergessens sein?“
    Da hielt er

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