24 Stunden
Buchstäblich nie. Ihr Vater, der Stabsfeldwebel, hatte seiner Tochter eine Selbstdisziplin eingetrichtert, die nervtötend war. Was auch immer passiert war, Will war es im Moment nicht möglich, das herauszubekommen. Er musste einfach warten.
In der Bucht waren nur noch die Lichter eines einsamen Frachters zu sehen, der in westliche Richtung fuhr. Wahrscheinlich war er mit Kaffee oder Bananen unterwegs nach New Orleans. Auf dem Schiff schliefen Männer, eine ganze Besatzung, die weniger als drei Meilen von ihm entfernt waren. Diese Männer wussten nichts von seinem Problem, und sie konnten ihm nicht helfen, selbst wenn sie davon gewusst hätten. In diesem Hotel hielten sich mehrere Hundert Ärzte auf, von denen Will viele persönlich kannte, und dennoch konnte ihm keiner helfen. Er war gefangen in einem stählernen Käfig, den ein Verrückter namens Joe Hickey konstruiert hatte.
Nein, dachte er. Verrückt ist wahrscheinlich nicht der richtige Ausdruck. Echter Wahnsinn ist selten, wenn man Störungen aufgrund organischer Krankheiten ausschloss. Während seiner Ausbildung hatte Will Patienten in der Psychiatrie in Whitfield behandelt. Einige von ihnen wurden als kriminelle Geisteskranke eingestuft. Nach einer Weile war er zu dem Schluss gekommen, dass ein paar der Männer kerngesund waren. Sie hatten ihre Ziele und Wünsche mit dem zielstrebigen Elan von Männern verfolgt, die im Geschäftsleben, in der Kunst oder Politik erfolgreich waren. Die Gesellschaft war nur nicht in der Lage zuzugeben, dass ihre gewählten Ziele auch Ziele gesunder Menschen sein konnten.
Will kannte jedoch den Unterschied. Alle Menschen hatten atavistische und manchmal grausame Wünsche. Es war besser, einige zu unterdrücken. Und Hickey gehörte nicht zur ersten Kategorie. Er folgte seinen Trieben, ohne auf Gesetze oder Gefahren zu achten. Sein offenkundiges Motiv war ganz einfach: Geld. Doch es gab einfachere und weniger riskante Wege, um große Summen Geld zu stehlen, wenn man bereit war, das Gesetz zu missachten. Hickey hatte seinen Plan konstruiert, um stärkere Triebe als seine Gier nach Geld zu befriedigen. Will musste herausfinden, was es war. Und zwar sehr schnell.
Es kostete ihn Kraft, sich zu konzentrieren. Er erinnerte sich an die Fahrt am Morgen zum Flughafen, als er Karen in letzter Minute gebeten hatte, ihn mit Abby zum Ärztekongress zu begleiten. Ihre Ablehnung hatte bei ihm ein ungutes Gefühl ausgelöst. Eine Vorahnung. Nichts Melodramatisches, einfach das Gefühl, dass sich die Kluft zwischen ihnen möglicherweise noch vergrößern würde, wenn Karen ihn nicht begleitete.
Auf so etwas wie hier wäre er jedoch in seinen verrücktesten Träumen nicht gekommen. Er hatte sich hingegen vorgestellt, dass er ohne Karen an seiner Seite an diesem Wochenende in einer Situation sein würde, die er schon oft erlebt hatte. Situationen, in denen er immer entschieden hatte, die Nacht lieber alleine als in weiblicher Gesellschaft zu verbringen. Auf der Fahrt zum Flughafen hatte jedoch eine Stimme aus seinem Unterbewusstsein geflüstert, dass es für ihn wie eine Befreiung sein würde. Diese Stimme hatte sich während der langen Monate der Spannungen und der schweigenden Vorwürfe immer wieder zu Wort gemeldet. Und insgeheim hatte er auf diese Stimme gehört. Dieses Wissen fraß jetzt wie Säure an seinem Herzen.
Man könne das, was man habe, erst schätzen, wenn man es verloren habe, hieß es. Der Gedanke, Abby könnte ermordet werden, lahmte Will so sehr, dass er das als Möglichkeit einfach ausschloss. Er würde sie zurückbekommen, was es auch immer kosten würde. Geld. Blut. Sein Leben.
Doch selbst wenn dieser Albtraum ein gutes Ende nehmen würde, war schon etwas Unwiderrufliches geschehen. Er hatte seine Frau und sein Kind allein gelassen. Ausgeliefert. Das taten Millionen von Vätern jede Woche, doch in diesem Fall hatte er sich insgeheim gewünscht, diese Reise allein zu machen. Er hätte Karen stärker und rechtzeitiger drängen können, dass sie ihn an diesem Wochenende begleiten sollte. Er hätte sie überzeugen können, dessen war er sich sicher. Doch das hatte er eben nicht getan.
Dennoch war es nicht allein seine Schuld. Die Organisation der Blumenausstellung zum 60. Jubiläum war vergleichbar mit der Planung von Doppelblindversuchen für ein neues Medikament. Die Vorsitzende der Junior League würde sich selbst den Todesstoß versetzen, wenn sie bei diesem Ereignis nicht dabei wäre. Aber tief in seinem Innern
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