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24 Stunden

24 Stunden

Titel: 24 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Jennings stand dunkel und schweigend auf dem Hügel. In den Kiefern zirpten Grillen. Ein Laster donnerte über die Autobahn, aber im Haus war es still.
    Ein Schrei zerriss die Nacht.
    Hickey lag auf dem Schlittenbett im Schlafzimmer, und Karen beugte sich über seinen verwundeten Oberschenkel. Er war nackt, aber sie hatte ihm ein Handtuch über die Leiste gelegt. Hickey hielt die Whiskeyflasche in der linken Hand und eine Halogenlampe aus Wills Arbeitszimmer in der rechten. Er bewegte den Strahler nach ihren Anweisungen und schwieg die meiste Zeit. Nur wenn die Nadel das unbetäubte Fleisch durchstieß, schrie er auf.
    Karen stieß die spitze Nadel ziemlich schnell und fast gleichgültig durch das Fleisch, nähte die Wundränder zusammen, verknotete die Fäden und nähte weiter. Es war erstaunlich, welchen Schaden ein Schnitt mit einem guten Skalpell anrichten konnte. Hickeys Blutverlust war nicht lebensbedrohend, aber die starke Blutung hatte ihm sicher einen höllischen Schrecken eingejagt. Karen war froh, dass sie bei ihrer Panikattacke den unteren Teil seines Penis verletzt hatte (eine Wunde, die zwei Stiche erforderte), und sie hoffte, dass ihn das davon abhalten würde, da weiterzumachen, wo sie vorhin aufgehört hatten.
    »Wie viele Stiche sind es noch?«, stieß er stockend hervor.
    »Wir haben erst die Hälfte. Sie hätten das Lidocain nehmen sollen.«
    Er trank noch einen Schluck Whiskey, als sie die Nadel durch seine Haut stach. »Das hier ist alles, was ich brauche. Beeil dich.«
    Sie machte noch fünf Stiche und hielt dann kurz inne, um ihre Handgelenke zu strecken. Dabei rutschte ihr die Frage heraus, die ihr schon die ganze Zeit auf der Seele lag. »Warum wir?«, fragte sie leise.
    »Was?«
    »Ich habe gefragt, warum wir?«
    Hickey hob die Hand, in der er die Flasche hielt, und legte einen Finger unter ihr Kinn, sodass sie ihm ins Gesicht sehen musste. »Bist du so blöd? Bist du wirklich so blöd, oder tust du nur so?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Warum denn nicht ihr? Hm? Glaubst du, nur weil du hier in diesem Vorstadtpalast wohnst, bist du immun gegen Leid? Meine Mutter hatte Kehlkopfkrebs. Das ist das Schlimmste, was es gibt. Warum ich?<, hat sie ständig gekrächzt. Mein Gott, warum ich?< Ich habe mir immer die gleiche Frage gestellt. Warum meine Mutter? Warum nicht mein beschissener Alter? Ich habe immer auf den Himmel geschielt, als würde Gott da sitzen und zuhören, und habe gefragt, warum. Schließlich habe ich es herausgefunden. Der Spaß ging auf meine Kosten.« Hickey schüttelte die Flasche und verschüttete etwas Whiskey auf Karens Knie. »Der Spaß geht auch auf deine Kosten, Vorstadtlady.«
    »Warum?«
    »Du bist ein Mensch, darum. Warum also nicht du, okay? Warum nicht du?«
    Karen biss sich auf die Lippe und starrte Hickey an. Die Bitterkeit war ihm ins Gesicht geschrieben, und seine Augen sahen aus wie schwarze Schächte, auf denen ein Ölfilm schwamm. »Es muss schrecklich sein, in Ihrer Haut zu stecken«, sagte sie.
    »Manchmal ja«, gab er zu. »Aber heute Nacht ist es schlimmer, in deiner Haut zu stecken.«
    Will stand am Fenster des Schlafzimmers und starrte auf den Golf von Mexiko. Die Zypressensuite kam ihm trotz ihrer luxuriösen Ausstattung allmählich vor wie eine Gefängniszelle. Das Wissen, dass der dunkle Golf sich nach Süden bis Yucatan erstreckte, beruhigte ihn irgendwie.
    Die ersten Sekunden, nachdem Huey Abby entdeckt hatte, waren die reinste Hölle. Wills Wutausbruch war so fürchterlich, dass Cheryl es trotz ihrer Waffe für ratsam hielt, sich im Badezimmer einzuschließen, um sich zu schützen. In dem Moment hätte er Hickey getötet, wenn der Mann vor ihm gestanden hätte. Aber das hatte er natürlich nicht. Hickey hatte sein Verbrechen so konstruiert, dass dieser Fall niemals eintreten würde.
    Als Wills Wut sich legte, wuchs seine Enttäuschung. Es gab so viele Dinge, die er nicht wusste. Wie hatte Karen es geschafft, eine Waffe auf Hickey zu richten? Wahrscheinlich hatte sie die 38er oben aus dem Schrank holen können. Will fragte sich dennoch, warum Hickey ihre Drohung ernst nahm. Er hatte Abby in seiner Gewalt, und solange das der Fall war, brachte die Waffe Karen nicht weiter. Offensichtlich war das aber der Fall. Oder etwas anderes. Will hatte gehört, dass Hickey etwas von einer Verletzung geschrien hatte, bevor er auflegte. Hatte Karen ihn verletzt? Hatte sie sich auf ihn gestürzt und versucht, ihn zu töten? Nein. Karen verlor nie die Beherrschung.

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