24 Stunden
Scheibe war kalt im Vergleich zu der schwülen Sommerluft über den Büschen und verkrüppelten Kiefern, die hinter dem Strand wuchsen, aber warm im Vergleich zu der kalten Luft in der Kasino-Suite.
»Wir haben unsere Unterhaltung von vorhin noch nicht beendet«, sagte Cheryl.
»Wie meinen Sie das?«
»Sie haben mich gefragt, wie es dazu kam, dass ich das hier mache. Kinder kidnappen.«
»Sie haben mir Ihre Geschichte doch schon erzählt.«
»Ich hab ein paar Sachen ausgelassen.« Sie machte jetzt ein Gesicht wie Abby, wenn sie eine Überraschung auf Lager hatte.
»Weil Joey nicht mehr wollte, dass ich als Tänzerin auftrete, hat er mich zurück nach Jackson gebracht. New Orleans und Jackson. Manchmal auch in den Club in Hattiesburg, aber da war nichts zu verdienen. Größtenteils Studenten, die da Schlange standen, um feuchte Hosen zu kriegen.«
»Sie sollten mal in der Late-Night-Show über Ihre Erfahrungen berichten.«
»Vielleicht. Aber Sie sollten mir zuhören. Sie können etwas lernen.«
»Ich kann es kaum erwarten.«
»Joey hat mich wieder in den Clubs untergebracht, aber eigentlich nicht, damit ich dort tanze. Wenn ich getanzt habe, war er zwar auch immer dort, aber nicht, um mich anzuschauen. Er kam, um mit den Leuten zu sprechen. Mit den Besitzern, den Rausschmeißern und den Gästen. Er gab Lokalrunden und spendierte Sofa-Strips. Schon bald wusste er Bescheid, was für Typen da verkehrten. Das haut Sie sicher vom Stuhl, Doktor. Anwälte, Ärzte, Börsenmakler und Ratsherren. Sogar Minister. Minister schlichen sich in die Bar, um sich einen Sofa-Strip zu gönnen. Ganz schön verrückt, was? Auf jeden Fall hatte Joey bald raus, wie man mit diesen Typen umgehen muss. Und dann haben wir mit einem kleinen Nebengeschäft angefangen.«
»Und was war das für ein Geschäft?«
»Erpressung. Diese Typen waren total verrückt nach mir, verstehen Sie? Ich mag es vielleicht nicht, aber ich kann Ihnen einen Sofa-Strip hinlegen! Ich hab diesen Typen Einblicke verschafft, von denen sie nicht zu träumen wagten. Die haben für drei Minuten fünfzig Dollar springen lassen, und sie waren glücklich wie Schweine, die sich im Morast suhlen. Bald haben sie mir viel mehr geboten und mich gefragt, ob ich auch Überstunden machen würde.«
Sie verzog die Nase. »Tanzen, kapiert? Zu den entsprechenden Gästen - den reichen und verheirateten - hab ich gesagt: Na klar, Schätzchen. Und ich bin mit ihnen nach der Arbeit in ein Motel gefahren. Das Motel gehörte einem Typen, den Joey gut kannte. Er hatte einen bestimmten Raum mit besonderen Kameras ausgestattet. Wenn wir in diesem Zimmer waren, habe ich diese Typen dazu gebracht, Dinge zu tun, von denen natürlich niemand etwas wissen durfte. Sie wären gestorben, wenn ihre Frauen und Chefs das gesehen hätten. Ihr Verstand setzte aus, und dadurch hatte Joey ihr Leben vollkommen in der Hand.
Und wissen Sie was? Sie taten mir nie leid. Nicht ein einziges Mal. Jeder Einzelne von diesen Scheißkerlen hatte seine Frau und seine Kinder zu Hause gelassen, um in diesen Club zu kommen. Sie sind mit mir in dieses Zimmer gegangen und haben mich wie die Irren gevögelt. Denen war es vollkommen egal, ob ich danach mehr tot als lebendig war. Sie haben mich alle angefleht, es ohne Kondom zu machen, und die meisten wollten... Mein Gott, ich möchte gar nicht mehr daran denken. Und das waren die Pfeiler unserer Gesellschaft, verstehen Sie? Und wenn Sie jetzt glauben, darüber erhaben zu sein, dann weiß ich, dass das Scheiße ist, klar? Sie spielen Ihr Spiel, aber ich weiß Bescheid.«
»Ich bin nicht darüber erhaben«, sagte Will. »Niemand ist es. Das sind menschliche Schwächen. Das ist rührselig, aber so ist das Leben. Es ist nichts Besonderes, was Sie da wissen. Ich glaube, meine Frau weiß das alles, was Sie mir eben erzählt haben, ohne dass sie Erfahrung damit hat. Sie hat sich nur entschieden, nicht damit in Berührung zu kommen.«
»Dann ist sie darüber erhaben, was? Vielleicht macht sie das darum nicht für Sie im Schlafzimmer.«
»Sie haben mir noch nicht erzählt, wie Sie von der Erpressung zum Kidnapping gekommen sind.«
Cheryl trank ihr Glas Cola-Rum aus. »Erpressung ist eine schmutzige Angelegenheit. Man weiß nie, was die Burschen machen, wenn man ihnen die Bilder zeigt. Die Wahrheit zeigt. Für diese Typen geht die Welt unter. Die meisten zahlen natürlich sofort. Aber man weiß nie. Ein Typ wollte Abzüge haben, um sie seiner Frau und seinen Kollegen zu
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