2400 - Zielzeit
hielt Kurs Richtung Nordosten. Pothawk aktivierte sein Kartenholo, legte den Kurs hochgerechnet über die Darstellung von Stadt und Landschaft – und verlängerte nicht ohne Staunen den imaginären Vektor. „Kamuko verlässt die Stadt", stellte er fest. „Sie will offensichtlich zu ARCHETIMS HORT."
„Wieso das?", überlegte Limbox. „Dieser ARCHETIM ist doch gar nicht zu Hause."
*
Kamuko ließ in ihrem Gleiter die Hauptstadt hinter sich. Folsson Brack versuchte, sie aus der Treck-Zentrale zu erreichen, doch sie stellte Interkom und Gleiterfunk ab. Über dem Gebirge der Zeiten lag ein ungewisses, abendliches Zwielicht. Der Autopilot folgte den Gipfeln Richtung Nordosten, und Kamuko sah schließlich zwischen den Fünftausendern eine sich nach oben verjüngende, goldene Wendelrampe: ARCHETIMS Heimstatt.
Der HORT war mächtiger als jedes andere Gebäude auf Oaghonyr. Allein der sichtbare Abschnitt ragte sechzehn Kilometer auf, bis in die Wolkendecke, wo der HORT sich buchstäblich verflüchtigte. Der größte Teil, hieß es in Gerüchten, lag im Hyperraum, und Kamuko war der Ansicht, dass die Gerüchte absolut der Wahrheit entsprachen.
Sie drosselte die Geschwindigkeit. Der Gleiter überschritt eine unsichtbare Grenze, die keine andere Maschine des Planeten überwinden konnte.
Ein Teleportfeld beförderte nicht gemeldete Störer in den geostationären Orbit von Oaghonyr. Nur nicht Kamuko, denn eins der Permits in ihren Ringen legitimierte sie.
Pilger und Reporter, Glücksritter und Verrückte – sie alle hatten längst versucht, mit Gleitern zum HORT vorzudringen, nur um sich im freien Weltall wiederzufinden, fortteleportiert, in mehr als dreißigtausend Kilometern Abstand zur Oberfläche. Wo sie von geostationär kreisenden Raumstationen aufgelesen und gerettet wurden.
Das Teleportfeld hatte nicht immer existiert. Doch in diesen Tagen sicherte es die Abgeschiedenheit, die ARCHETIM benötigte, um Kraft zu schöpfen.
Die Prinzipa landete am Fuß der Rampe.
Sie ließ den Gleiter stehen, orientierte sich im letzten Licht des Tages – und betrat mit allergrößtem Unwohlsein den HORT. „Herr!", rief sie.
Niemand gab Antwort. Der Laut klang kraftlos und wurde nirgendwo reflektiert.
Herr! Dieses Mal ein mentales Rufsignal, aber auch das versiegte in den Windungen, die hinauf in den Hyperraum führten.
Kamuko folgte der Wendelrampe aufwärts. Der Kontakt zur Außenwelt ging nach wenigen hundert Metern verloren. Sie blickte nicht mehr auf die umliegenden Fünftausender, sondern in einen mit jedem Höhenmeter dichter gewobenen Nebel. An welchem Punkt der Rampe sie sich befand, in welcher Höhe, war schwer zu sagen. Ihr Streckenmesser zeigte Werte, die der Wahrheit nicht entsprechen konnten.
Selbst wenn sie über ein Permit verfügte, sie gehörte nicht an diesen Ort. Sie war keine Wesenheit, sondern ein gewöhnliches Geschöpf.
Ein übergeordnetes Kontinuum hüllte die Rampe ein – und somit auch die Prinzipa. Jegliche Orientierung ging verloren.
Nach Kräften wehrte sich Kamuko gegen das Gefühl, der Hyperraum könnte sie verschlingen. Sie begriff die Umgebung nicht, durch die sie sich bewegte, schritt mechanisch voran, jedes Mal stets ein paar Zentimeter weiter aufwärts, aber mit welchem Ziel?
Da war plötzlich ARCHETIM – irgendwo ringsherum.
Die Generalin spürte seine Gegenwart, eine alles umfassende Milde. Doch genauso spürte Kamuko Erschöpfung, Fatalismus und eine Portion Furcht.
Stimmen wisperten, gesprochene Laute aus unzähligen Richtungen, in unbekannten Sprachen, Millionen, vielleicht Milliarden, und obwohl kein Wort zu verstehen war, drängten die Stimmen Kamuko doch auf einem ganz bestimmten, eindeutigen Weg die Rampe hinauf.
Ebenso viele Lichter flackerten, wie es Stimmen gab. Wie Flammen an unsichtbaren kleinen Dochten.
Vor ihr öffneten die Flammen eine Schneise, der sie folgte.
ARCHETIMS Gegenwart drückte auf Kamukos Geist. So als schwebe über ihr ein Gebirge, das millimeterweise nach unten sank.
Schließlich blieb sie stehen, mitten auf dem Weg, und entschied, dass sie nicht mehr weitergehen konnte. „Herr!", rief sie mühsam. „Herr, bitte!"
Wenn ARCHETIM ihr Beachtung schenkte, war davon nichts zu merken.
Kamuko wartete. Vergebens. „Was ist mit der Pressor-Garde?" formulierte sie, gleichzeitig mit Gedanken und mit Worten. „Unsere Völker werden bedroht und hingemetzelt!"
ARCHETIM pulsierte wie in Trance.
Vollständig auf das große Ziel fixiert,
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