2406 - Die Kristall-Annalen
umgekehrt? Die Bilder wirkten nicht weniger fremdartig als zuvor, aber auf unbestimmte Weise intakter, miteinander verwobener.
Dennoch versuchte Rhodan nicht, den Sinn dieser defragmentierten Visionen zu begreifen. Etwas anderes hatte seine Aufmerksamkeit geweckt.
Unter diesen Bilderfluten nämlich rührte sich etwas davon völlig Verschiedenes: eine schwache Gegenströmung, deren Quelle unendlich weit entfernt war, etwas, das – nein, nicht schrie, sondern mit letzter Kraft wimmerte, etwas wie ein Hilferuf am Ende eines Tunnels, der zurückreichte bis in die Uranfänge der Zeit. Dieses Etwas war sehr schwach, nur ein Rest von Etwas, ein Etwas, das zur Neige ging.
Rhodan lauschte. Aber im Tumult der Visionen ging das Wispern immer wieder unter, und endlich verlor er seine Spur.
Schließlich, nach fast einer halben Stunde Zwiegespräch, zog sich der Dual von dem gläsernen Gefäß zurück.
Er machte einen zugleich erschöpften wie erholten Eindruck, als hätte ihn das Diktat entlastet, geradezu saniert. Besonders der schildkrötengesichtige Teil des Duals wirkte, als hätte man ihn aus einer Versteinerung geschält.
Mondra Diamond bemerkte die Änderung in der Körperhaltung des Duals ebenfalls. „Es ist nicht nur ein Tagebuch ...", erkannte sie.
„Umso dringender sollten wir uns darum kümmern", sagte Rhodan.
9.
Das Imperium der Qual
Etwa 110 Jahre nachdem die Kartothek Aller Denkbaren Schlachten ihren bizarren Suizid begangen hatte, kam der Tag, an dem Dual Ekatus Atimoss sein ganzes Potenzial entfaltete – Phophom wäre sehr stolz auf ihn gewesen.
Wann immer die Beteiligung der Pressor-Garde geheim bleiben sollte, griff Ekatus Atimoss auf die LAOMARK und ihre Bewohner zurück. In den meisten Fällen dagegen konnte die Garde damit rechnen, dass sie und ihr Dual mit Fronteinsätzen betraut wurden.
Die Paragaben von Ekatus Atimoss hatten sich stabilisiert. Sie machten ihn und die ganze Chada Saryeh zu einer Größe in der chaotarchischen Strategie in diesem Abschnitt dieses Universums.
Von den Erfolgen im militärischen Bereich profitierte vielleicht die Psyche des Duals, vor allem die Atimoss-Komponente. Atimoss handhabte die paranormalen Kräfte seines Partners immer souveräner. Die körperliche Verfassung des Doppelwesens besserte sich jedoch nicht. Im Gegenteil: Obwohl er nicht wie ein normales Geschöpf alterte, siechte sein Leib mehr und mehr dahin. Wie ein Greis, der den Zeitpunkt seines Todes verpasst hatte und nun endlos alterte.
Hin und wieder sprach ein Kolonnen-Anatom mit einem neuen pharmazeutischen Produkt vor, und nicht einmal konnte der Dual der Versuchung widerstehen, es zu versuchen.
Nichts schlug an. In allen Fällen, in denen eine Medizin die eine Hälfte des dualen Körpers zu sedieren vermochte, reagierte die andere Hälfte auf eben diesen Stoff mit noch größerer Qual.
Zusätzliche Organe, die auf den Barken entwickelt worden waren, stieß der duale Körper ab, ohne Unterschied, ob es biomechanische, nanoenzymatische Maschinen oder neuronale Endo- oder Exoprothesen waren. Nichts half.
Sie behandeln mich immer noch, als sei ich krank. Aber ich habe keine Krankheit, ich bin selbst die Krankheit. Wer mich heilen will, muss mich töten, dachte Ekatus in den Stunden, in denen er innerlich zu verbrennen meinte.
In Schüben verschlechterte sich sein Zustand. Eines Tages brach er zusammen.
Er dachte: Ich stehe unter der Herrschaft der Schmerzen. Ich bin ein Sklave im Imperium der Qual.
Es zeigte sich, dass seine Muskeln degeneriert und das Knochenmaterial so porös geworden, dass bis auf Weiteres an eine Fortbewegung aus eigener Kraft nicht zu denken war.
Die Kolonnen-Anatome schlugen vor, langfristig den ursprünglichen Muskelapparat und das Skelett gegen gezüchtete Strukturen auszutauschen.
Allerdings hatte man auf den Skapalm-Barken bislang keinen Stoff entwickeln können, den der duale Metabolismus vertragen hätte.
Ekatus Atimoss entschied, dass er eine Unterstützung anderer Art brauchte, einen künstlichen Körperpanzer, eine Technorüstung.
Ein vyonischer Kybernetiker entwarf mehrere Prototypen. Manche ähnelten schlichten Exoskeletten. Eines der Modelle hätte sich stark mit dem dualen Leib verästelt, selbst seine Verdauungsfunktionen übernommen.
„Das will ich nicht", beschied Ekatus den Vyonen. „Ich will ein ... Lebewesen bleiben."
Der Vyone pendelte mit seinem starren, klingenförmigen Leib einige Male auf seinem Gehpolster vor und
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