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2406 - Die Kristall-Annalen

Titel: 2406 - Die Kristall-Annalen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Reinheit, und sie stank erbärmlich: nach heißen Metallen, nach verbrannten Knochen, nach Verwesung.
    Das also war sie, die Kartothek Aller Denkbaren Schlachten.
    Ekatus Atimoss gluckste zufrieden.
    „Guten Tag", begrüßte ihn eine Stimme.
    Der Dual erwiderte den Gruß vorsichtig.
    „Wer bist du?", fragte die Stimme.
    Er stellte sich vor. „Und mit wem habe ich das Vergnügen?"
    „Ich bin die Kartothek Aller Denkbaren Schlachten", identifizierte sich die Stimme. „Kann ich dir behilflich sein?"
    „Aber ja", gab der Dual zurück. „Ich habe dich erobert und hoffe, dass du mir zu Diensten sein wirst."
    „Ich werde gern erobert", gab die Stimme der Kartothek zurück. „Und ich begrüße in dir mit Freuden meinen neuen Eroberer."
    „Natürlich könnte es sein, dass du mich in Sicherheit wiegen willst. Vielleicht ist deine laue Botmäßigkeit nur eine Strategie", überlegte Ekatus Atimoss laut.
    „Gut möglich", gab die Stimme amüsiert zu. „Es könnte eine Kriegslist sein. Ich kenne zahllose solcher Listen."
    „Also bringst du eine Unsicherheit in mein Leben."
    „Ich fürchte, so muss man es sehen", bekannte die Stimme der Kartothek.
    „Vernichte mich, wenn du dieses Risiko nicht eingehen willst, mein Eroberer."
    Ekatus Atimoss überlegte, ob diese Aufforderung höhnisch gemeint war.
    Aber tat das etwas zur Sache? „Da ich dich erobert habe, werde ich entscheiden, wann du vernichtet wirst."
    „Wir werden sehen", klang die Stimme wieder auf.
     
    *
     
    Es wurde ihm schnell klar, warum die Terminale Kolonne die Kartothek so lange begehrt hatte. Das Artefakt nannte sich selbst eine Chronotronik und behauptete, es habe sich mittels Temporalschleife selbst erschaffen.
    Ekatus Atimoss scherte sich nicht um die Herkunft der Kartothek. Ihm genügte ihre Funktion.
    Die Kartothek war ein alles überragendes strategisches Instrument. Da die Befehlshaber der Kolonne ihm auch auf Nachfrage keinen Liefertermin gesetzt hatten, beschloss der Dual, die Kartothek bis auf Weiteres in den eigenen Dienst zu nehmen. Vielleicht war es ja so von höherer Stelle gedacht.
    Ab jetzt sichtete die Kartothek seine Schlachtpläne, verglich sie mit anderen, analogen oder peripher ähnlichen Schlachten, korrigierte und optimierte seine Strategie und Taktik.
    Aber das war nicht alles.
    Die Kartothek vermittelte ihm neue Einsichten, neue Sichtweisen, neue Haltungen. Sie erteilte ihm Lektionen über den Krieg.
     
    *
     
    Lektion 1
     
    Ekatus Atimoss schwebte ins Bild, das die Kartothek in ihrem Schlauchinneren projizierte. Es war kein Hologramm, keine elektromagnetische Illusion, sondern eine völlig andere, semireale Welt.
    Der Dual glitt schwerelos durch die Landschaft des Krieges. Ein Bataillon marschierte in ein Dorf ein. Das Dorf war fast unzerstört, Häuser, Gehöfte, Zisternen. Von den Bewohnern war niemand zu sehen.
    Die Soldaten setzten die Sprungfüße voran, zogen die Beckenfüße nach. In den vordersten Reihen strichen Minensuchgeräte über den Boden.
    Stille.
    Wind trieb Pergamentfetzen über den zentralen Platz, beschriftete Häute, wirbelte Staubballen auf. Um den Platz herum standen große Kreuze.
    Daran hingen gekreuzigte Soldaten, die dieselben Parteiungsgravuren trugen wie die Soldaten des Bataillons, das nun einrückte.
    Die Fingerfächer der Toten waren an die Querbalken genagelt, jeder hatte mehrere Schusslöcher in der Brust. Die Leichen waren in jeder denkbaren Hinsicht geschändet.
    Die Soldaten bildeten einen Kreis, sicherten in jede Richtung.
    Der Kommandeur befahl die Säuberung des Dorfes. Die Soldaten schwärmten aus und durchsuchten die Häuser, die Keller. Alle männlichen Bewohner, die man finden konnte, wurden auf den Platz geschleppt, auf einen Haufen geworfen, entkleidet.
    Die Soldaten stießen zu, die Zähne ihrer Bajonette verhakten sich im Fleisch.
    Die Arbeit des Tötens dauerte einen halben Tag, dann zog das Bataillon ab.
    In der Ferne brannten die Felder. Giftgaswolken wehten über die Ebenen. In der Luft surrten primitive Drohnen und feuerten Explosivgeschosse auf alles, was sich bewegte.
    Ekatus Atimoss glitt durch die Projektion wie ein körperloser Schatten und hielt vor dem Haufen toter Leiber.
    „Warum zeigst du mir das?", fragte Ekatus Atimoss. „Das ist eine primitive Schlacht. Unter meinem Niveau."
    „Sie ist primitiv", gestand die Kartothek ein, „aber idealtypisch. Sie zeigt, worum es in jeder Schlacht geht."
    Ekatus Atimoss rieb sich die schmerzenden Schläfen. „Du

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