2411 - Schwinge-von-Raffat
hineinzugreifen, die Speicherkristalle herauszunehmen ... und tags darauf, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass sie nicht in Mitleidschaft gezogen worden, sondern nach wie vor lesbar waren, sie meinem gütigen Kommandanten zu überreichen.
Unter vier, Pardon: drei Sehschwingen, versteht sich. Der Vorfall sollte unser kleines Geheimnis bleiben.
Vor lauter Dankbarkeit darüber, dass ich eine Sicherheitskopie erstellt und diskret verwahrt hatte, befreite Böudevail mich von meinen bisherigen Pflichten und beförderte mich zu seinem persönlichen Chronisten.
Ich hatte meine Bestimmung gefunden.
*
Von nun an zeichnete ich all die heroischen Taten auf, welche in der Schwingevon-Raffat begangen wurden.
Marschall Böudevail der Umsichtige, wie er wohl in den Geschichtsbüchern betitelt werden wird, zeichnete sich durch einen harten, aber gerechten Führungsstil aus. Schlendrian duldete er nicht. Tag für Tag, Zyklus für Zyklus hielt er uns zu ungebrochener Aufmerksamkeit an.
Uns (und den vollautomatischen Geräten) entging nicht die geringste Spektralschwankung der roten Riesensonne Koh.
Mit Fug und Recht darf festgehalten werden, dass es letztlich der eisernen Disziplin des Marschalls zu verdanken ist, dass der Stern mitsamt seinen Planeten bis heute existiert. Unter dem wachsamen, durchdringenden, um nicht zu sagen: glasigen Blick Böudevails hätte Koh es schlichtweg nicht gewagt, sich zur Supernova zu enwickeln.
Eine kleine Belohnung angesichts unseres dermaßen aufopferungsvollen Dienstes an Reich, Volk, Heimatsektor und Galaxis stand uns wohl zu. Nacht für Nacht, Zyklus für Zyklus begingen wir dezente Feierlichkeiten anlässlich des Weiterbestehens des Koh-Raffat-Systems. Falls der eine oder andere dabei ein wenig über die Stränge geschlagen hat – wer sollte es ihm verdenken?
Ja, es war ein entbehrungsreiches und dennoch zufriedenstellendes Leben in der Schwingevon-Raffat.
Bis die Piraten kamen.
2.
Lauscher und Spürer Am 22. Juli 1346 NGZ erreichte die RICHARD BURTON, eskortiert von ihren drei „Musketieren", nach nervenaufreibendem Flug über 5850 Lichtjahre den Rand des Segarenis-Sektors.
Die vier Trägerschiffe verzögerten in sicherem Abstand. Ihre hochsensiblen Passiv-Ortungsaggregate, allen voran die Kantorschen Ultra-Messwerke, traten in Aktion.
Binnen Kürze wurden Hunderte einoder ausfliegende Traitanks angemessen, Beleg für die massive militärische Präsenz der Terminalen Kolonne. Freilich ließ sich nicht einmal mit den mächtigen Schlachtschiffen TRAITORS ein Areal von der Größe dieses 48 Lichtjahre durchmessenden Kugelsternhaufens vollständig abriegeln.
Wenig später rematerialisierte eine Kolonnen-Fähre im Normalraum, wohl um einen Orientierungsstopp einzulegen. Ihr Kursvektor deutete darauf hin, dass sie aus der Kernzone Hangays gekommen war, dem für die Galaktiker bislang unzugänglichen Bereich der Galaxis, der über einen eigenen, bislang noch völlig unerforschten „Grenzwall" verfügte.
Im Segarenis-Haufen existierten eine Vielzahl von UHF-Quellen, die – trotz der Behinderung durch die Inkonsistenz der Raumzeit – geortet wurden.
Die Offiziere an den Funkterminals der BURTON, PORTHOS, ARAMIS und ATHOS rauften sich die Haare oder was immer ihnen sonst auf dem Kopf wuchs.
Jede Zuordnung von Ortungs-Ereignissen zu Koordinaten war nur mit größter Vorsicht zu genießen.
Sowohl die Hyperinpotroniken als auch ESCHER lieferten deshalb keine präzise, sondern bloß eine statistische Auswertung. Dennoch kamen sie zum selben Resultat: Brenn-, wenn nicht Ausgangspunkt aller rätselhaften Effekte war das System der Sonne Koh-Raffat, mitten im Zentrum der Sternenballung.
Dies deckte sich mit dem von der Noquaa-Kansahariyya erhaltenen Datenmaterial. Es korrelierte aber auch mit den Inhalten der eigenen kartografischen Archive.
Schon vergleichsweise kurz nach der Ankunft des letzten Viertels der Galaxis Hangay im Standarduniversum, im Jahr 510 NGZ, war der Rote Riese Koh-Raffat als auffällige Anomalie verzeichnet worden. Keine welterschütternde Sensation: Prinzipiell fanden sich Sterne dieser Art immer wieder.
Auch in der Milchstraße gab es ein paar, deren erratisches Verhalten von den Astro- und Hyperphysikern nicht erschöpfend beschrieben, geschweige denn erklärt werden konnte. In Hangay allerdings waren nach dem Transfer aus dem seinem Kältetod nahen Universum Tarkan einige hundert dieser seltsamen Sonnen registriert worden.
Koh-Raffat
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