2419 - Der neue Herr der SOL
Steph La Nievand zu dessen Zeit als TLD-Agent diesen Spitznamen verpasst hatte, war in Meeresbiologie keine Leuchte gewesen. Eher noch erinnerte der Oberstleutnant an einen Seelöwen, wegen seines buschigen Schnurrbarts. Trotzdem war ihm „Walfisch" geblieben, obwohl er weder groß noch übermäßig korpulent war, selten schwamm und – glücklicherweise – keine stundenlangen Gesänge von sich gab.
Dafür redete er viel, gern und, wenn er erregt war, laut. „Das könnt ihr mir nicht antun! Ich meine, sicherlich wäre niemand für diesen Posten befähigter als ich. Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, dass ich aus dem Stand jeden an Bord in seiner Spezialfunktion ersetzen könnte, notfalls sogar die Mediker, weil ich auf allen Fachgebieten umfassend bewandert bin. Nichtsdestoweniger ..."
„Eben", unterbrach Fee Kellind rüde den Wortschwall. Sie mochte den Walfisch, aber wenn man darauf wartete, dass er nach Luft schnappte, hatte man schon verloren. „Du sagst es selbst: Als Allrounder bist du konkurrenzlos; in puncto Allgemeinbildung und raumfahrerisches Gesamt-Spektrum kann dir keiner das Wasser reichen. Und genau darum geht es bei diesem Programm."
La Nievand, der mit einem äußerst soliden Selbstbewusstsein gesegnet war und gänzlich davor gefeit, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, wog den untersetzten Oberkörper hin und her, als könne er sich nicht entscheiden, ob er geschmeichelt oder verärgert sein sollte. „Mal langsam. So positiv es mich überrascht, dass meine herausragenden Fähigkeiten endlich einmal anerkannt werden, so rigoros muss ich mich gegen die Zumutung verwehren, die das mir aufgedrängte Amt birgt. Es ist schließlich nicht so, dass ich sonst nichts zu tun hätte. Ohne mich ..."
„... wären wir aufgeschmissen", vollendete Ronald Tekener. „Keine Frage. Mit dir steht und fällt das Projekt. Das hast du völlig richtig erkannt."
„He, Moment! Ich wollte eigentlich ausdrücken, dass ich aufgrund meiner sonstigen Verpflichtungen absolut unabkömmlich bin."
Fee hatte Mühe, nicht laut loszuprusten. Wann oder wo immer man dem „Oberstleutnant für besondere Aufgaben" begegnete, stets wirkte er wie kurz vor dem Wegpennen. Hektischer Übereifer war ihm gewiss nicht vorzuwerfen.
Freilich hatte Steph schon mehr als einmal bewiesen, dass er im entscheidenden Moment förmlich explodieren und zu körperlichen wie geistigen Höchstleistungen auflaufen konnte – wenn es wirklich darauf ankam. Im Normalfall jedoch schien er den ganzen Tag nichts zu tun, nur träg und faul herumzuhocken.
„Die anderen Abteilungen werden die Lücken, die deine partielle Abwesenheit reißt, verkraften müssen, auch wenn’s schwerfällt", sagte sie, ohne eine Miene zu verziehen. „Na komm, Walfisch. Wer beklagt sich seit Jahren, dass zuwenig Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten werden?"
„Ich. – Aber ..."
„Wer brüstet sich, er habe jede einzelne erhältliche Hypnoschulung intus?"
„Das ist keine Prahlerei, sondern Tatsache. Gleichwohl ..."
„Wer ist folgerichtig der ideale Kandidat für die neu zu schaffende, ehrenamtliche Stellung eines Direktors der projektierten SOL-Nachwuchsakademie?"
„Ich, verdammt!" In die Ecke getrieben, platzte La Nievand der Kragen. Ihm blieb nur noch ein letztes Argument, das schwerwiegendste, und er brüllte es hinaus: „Aber die Leute, die dort unterrichtet werden sollen, sind keine normalen Praktikanten, sondern Mom’Serimer!"
*
Nach den Ereignissen in der Yokitur-Dunkelwolke war die Stimmung der Stammbesatzung umgeschlagen. Man sah die Mom’Serimer mit einem Mal in einem völlig anderen Licht.
Der Schiffsführung war eine Petition übergeben worden: „Die Unterzeichneten erinnern daran, dass die SOL im Entropischen Zyklon bei Yoki verloren gewesen wäre, hätten nicht spontan und mit bemerkenswertem Engagement die Mom’ Serimer helfend eingegriffen. Resistenter gegen den Verdummungseffekt und den Abfluss der Vitalenergie (offenbar aufgrund ihrer Herkunft aus dem PULS von Segafrendo), haben sie unser gemeinsames Heimatschiff gerettet. Darüber hinaus ist es nur ihnen zu verdanken, dass auch in den Stunden und Tagen danach keine Todesopfer zu beklagen waren."
Das stimmte. Sogar SENECAS Bioplasma-Komponenten waren in Mitleidenschaft gezogen worden und viele Bordsysteme ausgefallen, darunter die Zentralkoordination der Medoroboter.
Hätten sich nicht rechtzeitig Hundertund Tausendschaften von Mom’Serimern persönlich um die
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