2419 - Der neue Herr der SOL
ich aber."
*
Es hätte einfachere, deutlich unaufwändigere Verfahren gegeben, sich mit der Bordpositronik zu beraten. Aber da SENECA sich nun einmal durch seine charakteristische Floskel zu erkennen gegeben hatte, ergriff Tek die Gelegenheit mit Freuden.
Gut möglich, dass sein Unterbewusstsein dieses Gespräch ohnehin angestrebt und ihn deshalb hierhergetrieben hatte – zu einer Holo-Bar, die natürlich am Netzwerk des Schiffscomputers hing und in diesen schweren Zeiten vergleichsweise irrsinnige Energien verschlang. Alles seinetwegen – einer der Vorteile, wenn man der Chef war.
„Schon traurig, dass ich meine persönlichen Probleme lieber vor einer Rechenmaschine ausbreite, als sie mit einem meiner menschlichen Mitstreiter zu bequatschen, hm?"
Der Kellner neigte den kahlen Schädel. „›It’s lonely at the top‹, wie die alten Ägypter sagten. Oder waren es die Lemurer?"
„Du solltest dringend deine Scherz-Dateien entstauben."
„Was hältst du von folgendem, aktuellerem Witz: Warum wird Diktator Bostich gegen TRAITOR den Kürzeren ziehen?"
„Ich höre."
„Weil man Kolonnen nicht rechts überholen darf."
„Au. Das tut weh. Gnade!"
Gnade ... Die war von ihrem übermächtigen Gegner keinesfalls zu erwarten.
Tek gestand der Inkarnation SENECAS, dass ihm die Vorstellung, die Milchstraße würde für den Bau eines Chaotenders ausgebeutet, den Schlaf raubte. „Damit dürfte ich nicht der Einzige an Bord sein. Jetzt, da wir davon reden, fällt mir ein, dass ich das einmal gegenüber der gesamten Besatzung thematisieren sollte."
Zu einer Führungspersönlichkeit gehörte mehr, als kluge Befehle zu erteilen.
Je länger er mit dem Ableger des Bordgehirns plauderte, desto klarer erkannte Tek, dass er sich nicht in seiner Trauer um Dao Lin-H’ay abkapseln durfte.
Aber es fiel ihm halt so verdammt schwer, Unsicherheit, Verletzlichkeit, menschliche Schwäche zu zeigen! Den privaten Tekener hatte nur Dao zu Gesicht bekommen. Selbst nach der Notlandung auf dem Planeten Ultrablau, während ihrer Affäre mit dem Graukartanin Ron-Sha-R’itt, hatte er seine Partnerin in der Nähe gewusst und felsenfest mit ihrer Rückkehr zur SOL und zu ihm gerechnet.
„Ach, Weiber!", seufzte der Barkeeper, ganz rollenkonform. „Vergiss sie. Andere Mütter haben auch hübsche Töchter."
„Ich glaube nicht, dass ich momentan Trost in den Armen einer anderen Frau fände. Avancen hätte mir schon manche gemacht, aber ... Abgesehen davon, ich bin nicht irgendwer. Der kleinste Flirt wäre sofort die Top-Meldung des Bordklatschs."
Das Hantelschiff mochte von riesenhafter Ausdehnung sein, doch bevölkerungsmäßig glich es einem Dorf. Oder deren drei, mit je 1800 Einwohnern in den kugelförmigen SOL-Zellen und 1544 im zylindrischen Mittelteil. Da kannte jeder jeden, und erst recht den biologisch unsterblichen Aktivatorträger Tekener. Seine Biografie wurde sogar im Schulunterricht durchgenommen.
Der Kellner schnippte mit den Fingern.
Kurz flackerte die Beleuchtung. Dann intonierte auf der runden, sich langsam drehenden Bühne eine komplette Bigband, einschmeichelnd und lasziv, ein langsames Stück im Dreivierteltakt. Auf einmal waren ausnahmslos alle Tische im Lokal von weiblichen Wesen besetzt, eines verführerischer herausgeputzt als das andere.
Tek spürte auch an sich selbst eine Veränderung und merkte, dass er nun einen weinroten Smoking trug, mit einer weißen Nelke im Revers und einem silbernen Rüschenhemd aus Seide. Die anthrazitfarbene Hose besaß einen seitlichen Längsstreifen im selben Weinrot und eine makellose Bügelfalte; die Füße steckten in schwarzen, blendend blanken Lackschuhen.
Mehrere umwerfend gebaute Schönheiten standen von ihren Stühlen auf und stöckelten, die Hüften schwingend, sich mit der Zungenspitze die vollen Lippen befeuchtend, auf Tek zu. Der lachte aus vollem Hals.
Dann sagte er, abwehrend die Arme gehoben: „Das ist wirklich lieb von dir, alter Freund, aber gar so dringend nötig habe ich’s noch nicht."
„Schade", gurrten die Sexbomben unisono. „Es wäre mir eine Ehre gewesen."
Ronald Tekener schmunzelte auf dem ganzen, langen Rückweg zu seiner Kabine. Nichts Wesentliches hatte sich verändert; dennoch schritt er beschwingt aus, als wäre die künstliche Schwerkraft an Bord merklich verringert worden.
In dieser Nacht schlief er so gut wie seit Jahren nicht mehr.
2.
Eine Art Beförderung
Tags darauf ging der Walfisch in die Luft.
Wer immer
Weitere Kostenlose Bücher