2470 - Finsternis ÃŒber Terra
sie ganz allein da, seine endlos stressende Nachkommenschaft.
Warum bist du gegangen, Jeria?
Wieso musstest du in diesen Gleiter steigen?
„Was?" Sie zeigte ihm ihren Finger, kam taumelnd und torkelnd auf ihn zu, stach ihn ihm unter das Kinn.
„Was hast du nicht? Du hast sie eiskalt verrecken lassen, Daddy! Du hast sie ..."
„Was ist das für ein Fleck?" Er griff nach ihrem Hals, um ihre strähnig auf die Schultern fallenden, hellblau gefärbten Haare zurückzustreifen.
„Er hat dich geknutscht, du lässt dich wieder mit ihm ein! Dieser Kerl! Dieses ..."
„Dieser Kerl hat einen Namen, Daddy!", fauchte sie in sein Gesicht.
Ihre Nasenspitzen berührten sich fast. Er roch ihren scharfen Atem, fühlte ihre Hitze. „Dieser Kerl heißt Leon, und ich liebe ihn!"
„Dieser Kerl ist ein verdammter Killer, Anulyn!" Er wollte nicht schreien, wirklich nicht. Er wollte sich nicht schon wieder reizen lassen, doch sie schaffte es immer wieder.
„Er hat Leute auf dem Gewissen, Frauen wie dich, und er ..."
„Ein Wort noch!", zischte sie, die Augen noch weiter aufgerissen. „Ein einziges Wort, und ich ..."
Er hielt sie fest, als sie zuschlagen wollte, und hielt sie auch noch, als sie in seinen Armen kollabierte und endlich schwieg.
Tenpole Opera trug seine fünfzehnjährige Tochter Anulyn, bis zum Tod ihrer Mutter vor fast genau acht Monaten ein bildhübsches junges Ding mit viel Witz und Herz, Charme und tausend Flausen im Kopf, die wenigen Meter bis in ihr Zimmer und zu ihrer Bettnische, die ihm vorkamen wie ein Kilometermarsch zum Schafott.
Am nächsten Morgen würde sie wieder normal sein, hoffte er. Verkatert am Frühstückstisch zwischen ihnen sitzen und darauf warten, dass der Tag vorbeiging, damit sie wieder abhauen konnte.
Irgendwann vielleicht würde sie zu sich kommen und ins Leben zurückfinden, hoffte er.
Nur daran zu glauben fiel ihm von Tag zu Tag schwerer.
* 20. Juni Anulyn war nicht der einzige „Problemfall" in seiner Familie – oder dem, was davon geblieben war.
Er sah sich unauffällig um. Da waren sie: Anulyn, Corsair und Arnie.
Seine Kinder, die er so gut kannte und doch so wenig.
Anulyn stocherte lustlos in ihrem Teller herum, mit schwerem Kopf und tiefrot geränderten Augen. Es war nicht nur der verdammte Fusel gewesen, den die Kids selbst herstellten. Wenn sie so war wie gestern, hatte sie andere Sachen intus. Und was es bei Leon zu kosten gab, war kein Geheimnis. Viele wussten davon, doch keiner konnte es beweisen. Der Kerl war aalglatt und gewieft. Tenpole und einige andere aus seinem Viertel in Atlan Village waren felsenfest davon überzeugt, dass mindestens zwei Mädchen in Anulyns Alter an dem chemischen Mist gestorben waren, mit dem er sie gefügig machte.
Leider waren seine Drogen aufgrund ihrer aphrodisierenden Wirkung bei gerade jenen begehrt, die einem Mann wie Leon eigentlich das Handwerk legen sollten.
Corsair ...
Tenpole musterte ihn und hoffte, dass er es nicht merkte. Sein ältester Sohn – er war gerade erst siebzehn geworden – war keiner, der es gern sah, dass man sich über ihn Gedanken machte. Wenn Anulyn ihre Aggressionen normalerweise nur im angedröhnten Zustand verschleuderte, so tat es Corsair bei jeder nüchternen Gelegenheit.
Der junge Mann, groß, breitschultrig, sportlich gestählt und bestens aussehend, hätte mit seinen Abschlüssen und seinem Lachen, seiner einnehmenden Art überall Karriere machen können. Aber das Lachen war erloschen. Statt seiner hatten sich Falten des Grimms in das schmale Gesicht eingegraben. Corsair, jedenfalls der dieser Tage, war nicht mehr der, auf den er einmal so stolz gewesen war, auch wenn er es vielleicht zu wenig gezeigt hatte.
Jerias Tod schien alles verändert zu haben. Corsair hasste. Er träumte vom Einsatz im Kampf gegen TRAITOR. Lieber heute als morgen, das schrie er ihm bei jeder Gelegenheit ins Gesicht, würde er in den Krieg ziehen – und fast schien es, als sehne er den Tag herbei, an welchem der Kristallschirm fiel, der das Sonnensystem bislang vor der Invasion durch die Terminale Kolonne bewahrte.
Tenpole hatte es aufgegeben, dagegen anreden zu wollen. Mit seinem Sohn war nicht mehr zu diskutieren.
Diese Gelegenheit hatte er aus der Hand gegeben, vielleicht sogar bereits vor dem entsetzlichen Auseinanderbrechen seiner Familie an jenem Punkt, der sie stets zusammengehalten hatte: Jeria.
Corsair vergrub sich in seinem Hass und ließ Tenpole bei jeder Gelegenheit spüren, dass er ihn für ein
Weitere Kostenlose Bücher