Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
ein ganz
gewöhnlicher Mensch, nicht besser und nicht schlechter, nicht klüger
und nicht dümmer als tausend andere!“
    „Aber du weißt doch alles, alles!“
    „Auch das fällt mir nicht ein! Ich bin keineswegs allwissend. Es
geht mir auch hier nicht besser und nicht schlechter als jedem andern
Menschen: Ich kann nur das wissen, was ich von andern weiß oder was ich
gehört und gesehen habe. Ich bin nämlich mit meinem vortrefflichen
Hadschi Halef Omar in ganz genau einem solchen Wasserengel, wie dieser
hier ist, gewesen. Den haben wir von oben bis unten durchsucht. Dieser
hier ist zwar wohl noch einmal so groß, aber ganz ebenso gebaut und
auch im Innern ganz ebenso ausgestattet. Da ist es also kein Verdienst,
hier mehr zu wissen als du, der du noch nie einen solchen Engel gesehen
und durchstöbert hast. Sieh hier die beweglichen Räder mit den
Leitriemen, den Schöpfkrügen und dem Steintrog, in den das Wasser
fällt. Es wird von Etage zu Etage gehoben –“
    „Ein Wunder, ein Wunder, ein Wunder!“ unterbrach er mich. „Wer hat das gebaut?“
    „Der Mir von Dschinnistan.“
    „Unmöglich!“
    „Warum unmöglich?“
    „Hier, mitten in meinem Land? In der früheren Hauptstadt und Residenz von Ardistan!“
    „Wäre das etwas so Unbegreifliches?“
    „Gewiß! Und nicht nur mitten im Land und mitten in der Residenz,
sondern sogar mitten im Maha-Lama-See, der sogar mir und allen meinen
Vorgängern ein Geheimnis gewesen ist, welches kein einziger von ihnen
allen ergründet hat!“
    „So ist es eben sein Geheimnis gewesen, das Geheimnis des Mir von
Dschinnistan, der mitten unter euch wohnt, ohne daß ihr es wißt, mitten
unter euch waltet, ohne daß ihr es ihm erlaubt und euch alle von innen
und von außen kennt, ohne daß ihr ihn jemals gesehen habt!“
    „Du scherzt, Effendi!“
    „O nein! Es ist mein voller, heiliger Ernst!“
    „So begreife ich dich nicht! Diesmal wirklich nicht! Bedenke doch,
daß gerade nach deiner Ansicht weiter kein anderer diesen Brunnen
gebaut haben kann, als nur allein der Maha-Lama, von dem ich euch
erzählte.“
    „Das meine ich freilich auch. Aber die Anregung und alles Weitere hat er vom Mir von Dschinnistan empfangen.“
    „Wie willst du das beweisen?“
    „Schau da hinauf!“ Indem ich dies sagte, stieg ich auf den Rand der
Steinkiste, aus der ich die Wachskerzen genommen hatte, und leuchtete
hoch empor, wo über der Treppe das Zeichen des Mir von Dschinnistan
eingegraben war und gleich darunter im alten Brahmavartadialekt das
Wort ‚Erbaut‘ gelesen werden konnte.
    „Sein Zeichen, sein Zeichen!“ rief der Mir. „Das muß ich sehen, ich,
ich! Das hat man gewagt, gewagt! Das müßte ich bestrafen können,
bestrafen!“
    „Warum bestrafen?“ fragte ich sehr ruhig. „Hat dieser Brunnen dir geschadet?“
    „Nein! Aber eine Beleidigung ist er für mich, eine Beleidigung, die ich mir nicht gefallen –“
    Er hielt mitten in seinem zornigen Satz inne, denn ich war schnell
von der Kiste herabgesprungen und ganz nahe an ihn herangetreten, hob
die Kerze zu ihm in die Höhe und sah ihm mit einem jener Blicke in das
Gesicht, die man nicht ‚machen‘ und nicht ‚mimen‘ kann, weil sie
unmittelbar aus dem Innern der Seele blitzen. Da wagte er es nicht,
weiterzusprechen. Er schlug die Augen nieder und war still. Fast leise,
aber sehr deutlich fragte ich:
    „Der Mir von Dschinnistan, den du befeindest, gab dieser deiner
armen Totenstadt den rettenden Brunnen, an dem sie sich wieder lebendig
trinken kann, wenn du, ihr Herr, nur willst. Wahrscheinlich werden wir
sehen, daß er ihr noch mehr, weit mehr gegeben hat, als dieses Wasser
nur. Nun sag, was gabst denn du? Was tatest du, um diesen Tod in Leben
zu verwandeln? Diese einst so herrliche Stadt, welche heut eine der
schönsten und berühmtesten des ganzen Morgenlandes sein würde, wenn
deine Ahnen dessen würdig gewesen wären, ging an der Grausamkeit und
Unmenschlichkeit ihrer eigenen Herrscher zugrunde. Als du noch ein Kind
warst, betrachtetest du ihre Leiche nur als Schreckgespenst zum Gruseln
und zum Grausen; höher brachte man deine Gedanken nicht. Und als du
Mann und Herrscher geworden warst, da diente dir dieses wunderbare Tal,
welches laut zu dir, dem Gebieter, um Gnade und Erbarmen, um Liebe und
Erlösung schreit, nur als unerbittlicher Abgrund des Hasses, der
Vergeltung, der Rache! Aus deinem Auge fiel kein einziger warmer Blick
auf sie, die Verschmachtete! Und nun du hörst, daß der, den du

Weitere Kostenlose Bücher