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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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bedeutende
Kraftanstrengung erfordern werde, weil es keinen Henkel, keinen Griff
oder etwas Derartiges gab, woran ich hätte fassen können; aber die
Platte, auf welcher der Stein jetzt ruhte, war in der Neigung nach
außen, die sie hatte, so scharf berechnet, daß ich die Hand kaum an den
Koloß gelegt hatte, so bewegte er sich auch schon. Ich mußte nur
schleunigst zurückspringen, um nicht niedergerissen zu werden. Als er
seine Stelle erreicht hatte, stand er still, und ich hörte, wie die
Feder in ihre Vertiefung schnappte.
    Der Mir war nicht bei den andern geblieben, sondern mit mir zur Tür
gekommen. Er erklärte mir, daß er nicht essen könne. Er habe weder
Hunger noch auch nur die allergeringste Spur von Appetit. Ich legte ihm
jetzt den Finger an den Puls. Wirklich! Der Mann hatte Fieber!
    „Bist du krank?“ fragte ich.
    „Nein“, antwortete er.
    „Also nur aufgeregt?“
    „Ja, aber sehr! Ich fühle an meinen Schläfen das laute Klopfen des Pulses!“
    „Wozu? Hier, fühle den meinigen!“
    „Ja du, Effendi, du! Du bist fremd; dich geht die Sache nichts an!
Mich aber packt sie von innen und von außen! Sag, müssen wir hier
stehenbleiben?“
    „Warum diese Frage?“
    „Weil es mich nicht leidet und nicht duldet! Ich kann nicht mehr
stillsitzen, nicht mehr stillstehen! Ich muß laufen, muß mich bewegen!
Ich weiß nicht, was das ist. Ich war noch nie so unruhig, so ergriffen!“
    „So komm! Ich glaube, wir können es wagen. Gehen wir ein Stück von
diesen Säulen und ihrem Felsendach hinweg, hinaus ins Freie, unter die
Sterne!“
    „Ja, ja, Effendi, hinaus! Ins Freie! Unter die Sterne! Wie
fürchterlich das war, da drin im Kanal, in der stehenden, stockenden
Luft, in der toten, leblosen Finsternis! Ich sagte nichts, aber mir
wurde da angst, himmelangst! Also komm!“
    Ich nahm seinen Arm unter den meinen. Wir verließen die Kolonnade
und schritten langsam in die Nacht hinaus. Doch nicht wir allein. Meine
beiden Hunde ließen ihr Futter liegen und kamen hinterdrein. Die treuen
Tiere hielten es für ihre Pflicht, mich in dieser Finsternis nicht ohne
ihren Schutz zu lassen. Wir gingen eine Weile, ohne zu sprechen. Er
wußte nicht, ob er mir das, was ihn so tief bewegte, sagen dürfe, und
ich aber wartete, daß er beginnen werde, weil ich durch eigenes Reden
sehr wahrscheinlich seine ganze Mitteilung zurückgeschreckt und
unmöglich gemacht hätte. So gingen wir weiter und weiter. Es war nicht
das ganze Firmament, welches wir über uns sahen, denn die hochragenden
Felsenmauern beschränkten unseren Horizont, aber es waren doch Sterne,
die da funkelten, und gerade jetzt trat das neugeborene erste Viertel
des Mondes als schmaler, dünner Bogen hinter der höchsten, steilsten
Felsenkante hervor und goß ein geheimnisvolles Hellerwerden über uns
und alles aus, was um uns ragte. Da sahen wir, daß es allerdings ein
Engel war, der genau auf der Mitte des weiten, öden Platzes stand, an
dessen Rand wir uns jetzt befanden. Wir lenkten unwillkürlich unsere
Schritte auf ihn zu.
    „Ja, wir sind am Maha-Lama-See“, sagte der Mir jetzt. „Es ist kein
Zweifel möglich. Das ist der Engel, dessen Kopf ich so oft gesehen
habe, wenn ich auf der westlichen Höhe stand und mit knabenhaftem
Grauen nach hier herüberblickte. Wollen wir umkehren?“
    „Warum? Fürchtest du dich?“
    „Fast! Ja! Und doch zieht es mich hin, als müsse ich dort etwas
finden, als hätte ich mich schon längst, mir aber unbewußt, nach ihm
gesehnt! Effendi, lache nicht! Ich rede nicht dumm; ich rede nicht irr;
ich sage dir nur, was ich fühle!“
    „Wer könnte da lachen! Der Augenblick, an dem die Seele des Menschen
zu sprechen beginnt, ist stets ein ernster, großer, heiliger. Höre auf
das, was sie dir sagt! Unterbrich sie nicht! Sprich erst dann wieder
mit mir, wenn sie schweigt!“
    So war er nun also wieder still. Der große, weite, vollständig ebene
Platz, über den wir jetzt nach seiner Mitte schritten, war also früher
See gewesen, der Maha-Lama-See! Wenn wir zurückschauten, sahen wir die
Kolonnade, die wir verlassen hatten, als den uns nächsten Punkt
ziemlich deutlich vor uns liegen. Sie wurde um so undeutlicher, je
weiter sie sich entfernte. Sie schien um den ganzen Platz, um den
ganzen früheren See zu gehen. Dagegen wurde der Engel um so deutlicher,
je näher wir ihm kamen. Er stieg zusehends höher und schärfer vor uns
auf. Er war gewiß doppelt so hoch wie der Engel, den wir kurz vor dem
Engpaß Chatar entdeckt hatten,

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