25 - Ardistan und Dschinnistan II
doch hatte er ganz und genau dieselbe
Figur. Es schien, als ob der hiesige das Original des dortigen und
dieser nur eine Verkleinerung von ihm sei. Wie nun, wenn ich das
Richtige vermutete! Wenn er Wasser enthielt?
Da blieb Uucht plötzlich stehen, hob den Kopf, dann auch das eine
Vorderbein, machte den Hals so lang wie möglich und ließ die Nüstern
spielen. Ihr Schwanz hing. Bald aber hob er sich, wackelte ein wenig,
dann immer mehr und wedelte schließlich in der mir bekannten, eifrigen
und zuversichtlichen Weise hin und her. Aacht tat dasselbe. Nun war ich
beruhigt, vollständig beruhigt über alles, was hier noch geschehen und
uns begegnen konnte. Meine Hunde hatten die erste Spur der Feuchtigkeit
entdeckt. Es gab Wasser hier. Der Engel war ein Brunnenengel, ganz
ebenso wie der andere, von mir bereits erwähnte! Ich säumte natürlich
nicht, aus dieser Tatsache die selbstverständlichen, logischen Schlüsse
zu ziehen. Die Sage des Mir war gezwungen, ihre Maske abzuwerfen und
ihre wahre Gestalt zu zeigen. Man hatte in ihr die Wahrheit nicht etwa
nur umkleidet, sondern geradezu zur Lüge gemacht.
Indem wir weitergingen, wurden die Bewegungen der Hunde lebhafter.
Ich verbot ihnen, Laut zu geben. Da schauten sie verwundert zwischen
mir und dem Engel hin und her. Sie nahmen an, daß sie von mir nicht
verstanden worden seien. Darum liebkoste ich sie und sagte ihnen ein
anerkennendes Wort. Da waren sie sofort beruhigt.
„Was ist das mit deinen Hunden?“ fragte der Mir. „Was wollen sie?“
„Sie sagten mir etwas, was du auch bald erfahren wirst.“
„Etwas Böses vielleicht?“
„Nein, sondern etwas Gutes. Ich hoffe, daß wir überhaupt hier nur
noch Gutes erleben werden! Weißt du vielleicht, was der Maha-Lama
seinen Opfern zu essen und zu trinken gegeben hat, ehe sie in den See
geworfen wurden?“
„Natürlich nichts!“
„Woher weißt du das?“
„Es ist doch wohl nicht schwer, sich das zu denken! Man gibt doch
Leuten, die gefangengenommen und dann sofort in das Wasser geworfen
werden, nicht noch vorher zu essen und zu trinken!“
„Bist du überzeugt, daß sie alle sofort getötet worden sind? Daß der
Maha-Lama gar keine Ausnahmen gemacht habe? Schau diese Säulen, diese
Kolonnaden an! Sie auszugraben, auszuhöhlen und auszuhauen ist ein
Gigantenwerk, welches doch wohl nicht von Leichen oder gar von Geistern
und Gespenstern, sondern von lebenden, gesunden, kräftigen und
ausdauernden Menschen ausgeführt worden sein kann! Und das sind nicht
nur fünf oder zehn oder zwanzig, sondern Hunderte und aber Hunderte von
Arbeitern gewesen, die gute und reichliche Nahrung bekamen. Und noch
viel nötiger war das Wasser als Trank für die Menschen. Aber wo nahm
man das wohl her?“
„Natürlich aus dem See!“
„Der mit Leichen ausgefüllt wurde?“
Diese Frage machte ihn verlegen. Er sann ein Weilchen nach und gestand dann ein:
„Hierauf, Effendi, kann ich dir keine Antwort geben. Man weiß nur,
daß der Maha-Lama niemals auch nur einen einzigen Tropfen Wasser aus
den Brunnen der Stadt nach dem See hat schaffen lassen.“
„Weiß man das genau?“
„So genau, daß dies gerade einer der Hauptgründe war, zu schließen,
daß er seine Opfer nicht leben lasse, sondern augenblicklich töte.“
„Wenn er für die Arbeiter, die hier beschäftigt worden sind,
wirklich kein Trinkwasser aus der Stadt bezog, so muß er hier an Ort
und Stelle einen Brunnen gehabt haben, und zwar einen großen, sehr
großen und unversiegbaren, der imstande war, wenigstens so viel,
wahrscheinlich aber noch viel mehr zu liefern, als man brauchte.“
„Meinst du wirklich?“
„Ja, das meine ich allerdings! Und wo ist er gewesen, dieser Brunnen? Wo steht er noch?“
„Wer kann das wissen?“
„Du etwa nicht?“
„Nein, ich nicht, ganz gewiß nicht!“
„So komm! Ich werde ihn dir zeigen!“
„Wer? Du?“
„Ja, ich!“
„Der Fremde? Der Europäer? Der hier vollständig Unbekannte –“
„Ja, der! Komm!“
Wir waren jetzt beim Engel angelangt. Ich nahm den Mir wieder, wie
vorher; am Arm und führte ihn nach dem Unterbau. Dieser war ein anderer
als bei dem Engel in der Nähe der Landenge El Chatar. Dort bestand er
aus natürlichem Fels, hier aber aus künstlich aufgemauerten Stufen,
welche direkt bis zu den beiden Füßen des Engels führten. Hier hatten
täglich zahllose Arbeiter schöpfen müssen; da war es notwendig gewesen,
den Zugang bequemer zu machen als dort, mitten in der Wüste. Die Stufen
waren
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