251 - Der Taratzenkönig
»Auch wenn wirr mit den Waffen deine Leute angrreifen?«
Gerissener Scheißkerl , dachte Rulfan. Dieser Hrrney hatte wirklich was im Köpfchen. Er winkte ab. »Das sind nicht meine Leute «, entgegnete er. »Im Gegenteil, sie haben mich entführt und gefoltert, und sie wollen meinen Vater ermorden. Ihr Schicksal ist mir gleich.«
Der Taratzenkönig schien noch nicht vollends überzeugt, aber Traysi trat neben ihn und kraulte ihm das Brustfell. »Ich glaube Rulfan«, sagte sie. Es klang irgendwie beschwörend.
In der nächsten Sekunde entspannte sich der Ausdruck in Hrrneys Fratze. »Dann isst ess gut«, zischte er. »Komm mit mirrr.«
Damit drehte er sich um und ging voraus. Traysi trottete folgsam hinterher.
Rulfan war wieder allein. Er setzte sich und ordnete seine Gedanken. Traysi war erschrocken, als sie ihre Hand von mir zurückgezogen hat , überlegte er. Das hob ich genau gespürt. Und zwei Sekunden später kommt dieses Monster um die Ecke…
Rulfan wusste um die Gefahrsicht der Lords, aber hier stimmten zwei Dinge nicht: Erstens sprach diese Zukunftsschau - wie der Name schon sagte - nur bei unmittelbarer Gefahr an, und zweitens umfasste sie gerade mal zwei Lidschläge. Traysi jedoch schien ganze zwei Sekunden in die Zukunft zu sehen. Etwa ständig? Das würde zumindest ihre seltsamen Blickwechsel erklären.
Aber das war nicht das einzige Rätsel, das diese Frau umgab. Warum lebte sie hier bei den Taratzen? Und was hatte sie vorhin mit Hrrney gemacht? Ihn beeinflusst? Reichten ihre telepathischen Fähigkeiten über die Gefahrsicht hinaus?
Rulfan nahm sich vor, Traysi von den Lords weiter zu beobachten. Vielleicht konnte er ja ihr Geheimnis lüften, bevor ihm die Taratzen den Kopf abbissen…
***
Bristol, September 2516 bis März 2517
Der große kastenförmige Dampfer mit den niedrigen Decksaufbauten lag tief im Wasser. Unermüdlich drehten sich die Schaufelräder gegen die Strömung und schoben das Schiff den Avon hinauf. Dicke schwarze Rauchwolken kamen aus dem Schornstein und zerfaserten irgendwann in den grauen Wolken. Zwei abgerissen wirkende Männer, in hartes braunes Leder gekleidet, standen am Bug hinter der Kanone und beobachteten die Ruinen der näher kommenden Stadt. Beide Gesichter waren deformiert. Das eine besaß statt einer Nase nur einen Hautlappen, im anderen saß das linke Auge gut drei Fingerbreit tiefer als das rechte.
Wie fast alle Nordmänner an Bord wiesen auch die Beobachter einige mehr oder weniger schwere Verletzungen auf. Sie stammten von der Schlacht bei Salisbury, die die Nordmänner trotz einer riesigen Armee gegen die vereinten Communities aus London und Salisbury verloren hatten. [3] Überlebende gab es kaum. Dieses Schiff mit jetzt noch sechsundzwanzig Mann Besatzung gehörte dazu. Von Salisbury aus hatte es sich nach Norden abgesetzt, weil im Süden die fürchterlichen fliegenden Kampfwagen gelauert hatten, und über verschiedene Flussverbindungen schließlich den Avon erreicht. In der Hoffnung, irgendwann wieder auf offenes Meer zu stoßen, um von dort aus ihre Heimat Skandinavien erreichen zu können.
Und wäre nicht ein Unterführer namens Kerkuun an Bord gewesen, der die demoralisierten »Götterschlächter«, wie sie sich selbst nannten, mit eiserner Disziplin zusammenhielt und antrieb, hätten sie sich längst selbst zerfleischt.
»Wir brauchen wieder Nahrung, Schiffsmeister Kerkuun«, sagte der Mann mit den asymmetrisch stehenden Augen. »In diesen Ruinen gibt es sicher Stämme, die wir überfallen können. Wir sind die Meister der Erde, niemand kann uns widerstehen.« Eine durchaus gewagte Aussage angesichts der letzten Ereignisse.
Eine ganze Zeitlang sahen sie außer ein paar schwarzen Riesenspinnen niemanden in den Ruinen, die links und rechts vorüber zogen. Erst bei einer Brücke, auf der seltsame Hörner saßen, bemerkten sie Menschen am Ufer. Frauen und Kinder.
»Die allweise und kriegsmächtige Göttin Lokiraa ist mit uns«, sagte Kerkuun, als sie den Dampfer in der Flussmitte direkt unter der Brücke gestoppt hatten - eine Überheblichkeit, die einem Kriegsmeister ganz sicher nicht passiert wäre - und zwei Boote zu Wasser ließen. Zwanzig der schwer bewaffneten Nordmänner bestiegen sie. Jeweils fünf ruderten, jeweils zwei kauerten mit schweren Holzschilden im Bug ihrer Boote. Kerkuun stand mit angelegtem Gewehr im vorderen Boot.
Als zwei Barbaren am Ufer erschienen, schoss Kerkuun sofort. Der linke Mann schrie auf und sank zusammen,
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