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253 - Das Terror-Gen

253 - Das Terror-Gen

Titel: 253 - Das Terror-Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Zorn
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Okular hinaus auf das Meer. Die Sonne stand bereits hoch am Firmament und noch immer deutete nichts am Horizont auf ein einlaufendes Schiff hin. Wie so oft in den letzten Jahren nahm er sich vor, Guunsay zu verlassen, sobald sich die Gelegenheit bot. Nicht weil es ihm hier etwa schlecht erging, sondern weil er nichts so sehr hasste wie Langeweile. Und davon gab es zurzeit in Sainpeert mehr, als er ertragen konnte.
    Trübsinnig ließ er sein Fernglas sinken. Er dachte an den Tag, als ihn die Wellen an den Strand der Inselhauptstadt gespült hatten. Jung war er gewesen, stattlich und reich. Doch seinen Reichtum und seine Männer riss damals das sinkende Schiff mit sich in die Tiefe des Atlantiks. Auch die Tatsache, dass er Nachfahre eines irischen Lordgeschlechts war, half ihm in diesem verschlafenen Paradies nicht weiter. Zwar verhielten sich die Menschen dem Schiffbrüchigen gegenüber gastfreundlich, gaben ihm zu Essen und Unterkunft. Doch als er wieder bei Kräften war, musste er sich durch seiner Hände Arbeit sein Brot verdienen, wie jeder andere auch. Für eine Schiffspassage zurück in die Heimat blieb am Tagesende nichts übrig.
    Schließlich begann er in seiner freien Zeit auf dem Marktplatz und in der Hafenspelunke für ein paar Münzen Geschichten zu erzählen. Geschichten aus der Zeit vor Kristofluu . Geschichten, die ihm einst sein Großvater aus den Büchern der Alten vorgelesen hatte. Von Helden und dramatischen Schlachten. Von Liebe und Tod. Eines Tages saß Lordkanzler Gundar der Große persönlich unter der Zuhörerschaft. Aufmerksam lauschte er Wallis' Worten. Danach lud er ihn in sein Château ein.
    Es stellte sich heraus, dass Gundar ein Faible für alles hatte, was mit Kampfstrategien und großen Kriegsherren zusammenhing. Unzählige Artefakte der Alten, die die Wände und Vitrinen seines Prachtbaus zierten, zeugten davon.
    Erst machte der Inselherrscher den rothaarigen Iren zu seinem Hoferzähler, dann zum Stadtgelehrten und schließlich zu seinem Berater. Wolter Wallis nahm all die Ämter an und bezog drei prächtige Räume im Château des Lordkanzlers. Nicht zuletzt wegen der liebreizenden Gemahlin des Regenten gab er seinen Plan auf, nach Irland zurückzukehren.
    Obwohl der Lordkanzler jede Art der Auseinandersetzung hasste, spielte er im Kasernenhof seines Schlosses sämtliche Schlachten aus Wolters Erzählungen nach. Stets übernahm er die Rolle des Eroberers, seine Gardisten die von Freund und Feind. Nur einmal wollte ihm seine Interpretation so gar nicht gefallen. Wochenlang hetzte er seine Männer durch den kargen Hof, um die Schlacht von Trafalgaa nachzustellen. Mäkelte an Lichtverhältnissen, Windrichtung und Kostümen. Schließlich explodierte er. »Das Ganze hier wird dem großen Admiral Neelson nicht gerecht. Die Atmosphäre stimmt nicht. Es fehlt Feuer! Es fehlt Wasser!«, rief er damals ungeduldig. »Das müssen wir ändern!«
    Mit seinen Plänen stellte er drei Jahre lang die Insel auf den Kopf: Hektarweise Holz wurde gerodet, zentnerweise Eisenschrott und Wellblech von den Handelsschiffen geordert. Für den Bau der Miniaturschiffe wurde eine Werft errichtet. Welch ein Aufwand, welch eine Aufregung, und was für ein Spektakel, als sich die Schlacht von Trafalgar im Hafen von St. Peter Port wiederholte.
    Nachdem Lordadmiral Neelson - alias Gundar der Große - zum Angriff geblasen hatte, gingen die Kulissen und Boote in Flammen auf. Überall krachte und knallte es. Dicke Rauchwolken hingen über dem Ufer. Gebrüll vom brodelnden Wasser. Panische Schreie vom Land. Die Zuschauer schwankten zwischen Entsetzen und Faszination. Am Ende des Schlachtendramas brachen sie in Beifallsstürme aus. Ihr Herrscher hatte zwar einen Knall, doch langweilig wurde es mit ihm nie.
    Mehr als zwanzig Jahre war das nun her. Inzwischen verrotteten die Überreste der Schlacht irgendwo im Norden der Insel, wohin man sie entsorgt hatte. Der Lordkanzler hatte seine Kriegsschauspiele wieder in den Kasernenhof verlegt - und Wallis gingen langsam die Geschichten aus. Immer seltener befanden sich unter den Reisenden und Händlern, deren Schiffe in Sainpeert vor Anker gingen, Menschen mit verwertbarem Wissen. Und immer häufiger blieben die Seiten von Wolter Wallis' großem Notizbuch leer.
    Wenn wenigstens noch die geistreiche Catherine am Leben wäre. Sie hatte Wolter oft bei seinen täglichen Marktbesuchen begleitet und ihm so manches Tischgespräch bei Hofe mit ihrem sprühenden Charme versüßt. Doch die

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