253 - Das Terror-Gen
Ausräuchern«, bemerkte sie trocken. Dann stieg sie die Wendeltreppe hinauf auf das Dach des Turmes.
Neben Sir Leonard blickte sie über die Brüstung. Im Süden führte entlang eines Waldgebiets eine staubige Straße hinunter zur Küste. Zur Meerseite hin direkt unter ihnen am Turm war eine Senke zu sehen. Ihr Areal hatte die Größe eines Dorfes, und anscheinend war es einst bewohnt gewesen. Am Klippenrand ragten Mauerruinen und eine verfallene Hütte aus der Erde. Einen Steinwurf entfernt davon erhob sich ein Hügel aus Schrottteilen und Holztrümmern, an dem sich Ibrahim Fahka mit seinem angespitzten Stock gerade zu schaffen machte.
»Es sieht fast so aus, als ob die Inselbewohner das Plateau als Müllhalde benutzen.« Cinderella wandte sich Gabriel zu, der nachdenklich in die Ferne blickte.
»Nicht mehr lange«, erwiderte er abwesend.
»Du hast doch nicht etwa vor, hier oben zu bleiben?« Argwöhnisch beobachtete die Pilotin das Mienenspiel des Prime.
»Warum nicht?« Er richtete den Blick seiner grauen Augen auf sie. »Ich kann mir keinen besseren Ort vorstellen für unseren neuen Stützpunkt. Das Plateau ist nur von der Straße und von dem Pfad, den wir gekommen sind, erreichbar. Also gut zu verteidigen. Wir haben hier Wasser und Nahrung in Hülle und Fülle. Warum sollten wir uns etwas anderes suchen?«
Verteidigen? Nahrung in Hülle und Fülle?
Cinderella war irritiert. Was hatte Leonard vor? Wollte er sich einfach bedienen? Sich hier niederlassen und, falls sie nicht willkommen waren, es auf einen Kampf ankommen lassen? Aus schmalen Augen erwiderte sie seinen Blick. Sie war sich sicher: er wollte! Seit dem EMP ging der Prime über Leichen, wenn es um seine Ziele ging.
Warum nur habe ich diesen alten Narren nicht einfach ertrinken lassen? Wütend nagte die Pilotin an ihrer Unterlippe. Noch bis vor wenigen Minuten hatte sie ihren Plan aufgegeben gehabt, zu den Demokraten nach Britana zurückzukehren. Hatte geglaubt, in diesem Paradies hier friedlich leben zu können. Doch mit Sir Leonard würden sie keinen Frieden finden. Sobald alle wieder bei Kräften waren, würde er womöglich auch wieder den Despoten heraushängen lassen. Mit Schaudern dachte sie an Dubliner jr.
Ohne mich! Lieber frei in der Hölle einer zusammenbrechenden Welt leben, als im Paradies unter der Knute eines unberechenbaren Greises. Im Hafen von Saint Peter Port, wie nach den alten Aufzeichnungen die Hauptstadt der Insel hieß, würde sie schon ein Schiff finden, mit dem sie nach London gelangen konnte. Heimlich! Betont unbeeindruckt zuckte sie jetzt mit den Schultern. »Was auch immer du vorhast, ich für meinen Teil werde erst einmal Kontakt mit den Einheimischen aufnehmen.« Damit kehrte sie ihm den Rücken und machte sich auf den Weg zur Treppe.
»Warte!«, rief ihr Leonard nach. »Es steht dir frei, nach Britana zurückzukehren. Doch ich bitte dich, wenigstens solange zu bleiben, bis wir uns hier eingerichtet haben. Wir brauchen dich jetzt.« Seine Stimme klang wie Samt.
Überrascht verharrte Cinderella Loomer vor dem Treppenabgang. Nicht nur sie kannte den Prime lange genug, um seine Pläne zu durchschauen; umgekehrt verhielt es sich ebenso. Er ahnte also, dass sie Guernsey verlassen wollte. Dennoch befahl er ihr nicht zu bleiben. Er sprach eine Bitte aus. Das war ungewöhnlich. Sehr ungewöhnlich für Sir Leonard Gabriel.
Wieder fiel ihr Dubliner jr. ein. Hatte Leonard ihn nicht hingerichtet, weil er die Gemeinschaft verlassen wollte? Ihr Magen zog sich zusammen, als sie daran dachte, dass sie selbst den zum Tode Geweihten entwaffnet und festgenommen hatte.
Wollte Gabriel sie wirklich gehen lassen?
Vielleicht irrte sie sich und die Ereignisse der vergangenen Tage hatten doch einen Sinneswandel bei ihm bewirkt. In ihrem Rücken hörte sie jetzt seine Schritte. Dann legte sich seine Hand auf ihre Schulter.
»Wenn nicht für mich, tue es bitte wegen der Anderen.«
Verunsichert starrte Cinderella auf die Stufen vor ihren Füßen. Ein fingerlanger Crooch schleppte einen sich windenden Wurm über den Stein. Ein paar Tage länger bleiben oder nicht, was spielte das für eine Rolle? Doch bevor sie ihm ihre Entscheidung mitteilen konnte, drang von unten die Stimme Ibrahim Fahkas herauf. »Seht euch das an!«, rief er aufgeregt. »Ein Motorwagen! Wir haben einen Motorwagen!«
***
St. Peter Port, einige Tage später
Wolter Wallis hockte zusammengesunken auf einem Poller der Hafenbefestigung. Sehnsüchtig blickte er durch das
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