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2578 - Das mahnende Schauspiel

2578 - Das mahnende Schauspiel

Titel: 2578 - Das mahnende Schauspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc A. Herren
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meine Wenigkeit vorstelle«, sagte der Fremde mit stark rollendem R. »Mein

Name ist Martus. Martus der Kritiker nennt man mich. Ich kritisiere - mit Herz, aber vor

allem mit Verstand!«
    Saedelaere schaltete beim Translator die Funktion »natürlicher Duktus« aus, um das Stimmbild

an seine Hörgewohnheiten anzupassen. Damit verschwand das rollende R aus der

Translatorwiedergabe.
    Dann stellte er Eroin Blitzer und sich vor. Ihm fiel auf, dass der Zwergandroide einen Schritt

vor dem Krötenwesen zurückwich. In sitzender Position überragte Martus der Kritiker das

Kunstwesen nur um wenige Fingerbreiten.
    »Ich habe euch auf dem Empfang gesehen«, fuhr Martus fort. »Mit Erstaunen habe ich

registriert, dass Vetri sich persönlich um euch kümmert. Nur sehr wichtigen Gästen wird diese

Ehre zuteil ... «
    »Ich sehe mich weiter um«, sagte Eroin Blitzer rasch. »Wir treffen uns wieder in unserer

Beherbergung?«
    Irritiert blickte der Maskenträger von dem Theaterkritiker zu seinem Kompagnon. »Wie du

willst«, sagte er. »Du weißt, wonach wir suchen!«
    Der Zwergandroide nickte, wandte sich um und war im nächsten Augenblick in einer Traube aus

Fremdlebewesen verschwunden.
    »Nicht alle schätzen die Arbeit des Kritikers«, brummte Martus. »Ich habe damit zu leben

gelernt.«
    »Nimm es nicht persönlich«, sagte Saedelaere beschwichtigend. »Wir ... er ist mit Fremden

nicht sehr vertraut.«
    »Liegt das nicht bereits in der Natur der Sache?«, fragte Martus mit ironischem Unterton.

»Wenn man mit Fremden vertraut ist, sind es keine Fremden mehr.«
    »Da hast du recht«, gab Saedelaere zu. Er dachte kurz nach. »Wie gut kennst du dich mit dem

Schauspiel aus, Martus?«
    Der Kritiker hob eine Hand und kratzte sich am Kinn. Seine Finger waren lang und dünn und

wollten nicht so richtig zu seinem gedrungen krötenhaften Aussehen passen. Der Vergleich zu der

terranischen Zoologie hinkte immer und bot viel Raum für Missverständnisse.
    »Ganz gut«, sagte Martus langsam. »Was willst du denn wissen?«
    »Hast du das mahnende Schauspiel vom See der Tränen bereits gesehen?«
    »Oh, ja doch! Obwohl es nur alle dreiundzwanzig Planetenjahre stattfindet, habe ich es schon

mehrere Male gesehen.«
    Nur alle dreiundzwanzig Jahre? Saedelaere war von viel häufigeren Aufführungen

ausgegangen.
    »Was hältst du davon?«
    Martus verzog den breiten Mund zu einem süffisanten Grinsen. Saedelaere hoffte, dass er die

Mimik des Wesens zumindest ansatzweise richtig interpretierte.
    »Ich habe mich stets voll des Lobes über das Stück und die Leistungen der Mimen
    geäußert. Ihr Spiel ist ebenso vielschichtig wie die Botschaft des Schauspiels.«
    »Wie stehst du persönlich zu dieser Botschaft?«
    »Sie ist zeitlos, moralisch einwandfrei«, sagte Martus. Er sprach langsam, als ob er vor jedem

Wort dessen Wert abwägen würde. »Und bevor du mich der Subjektivität bezichtigst, Alaska

Saedelaere: Das Schauspiel muss man selbst erleben. Nur so kann man sein eigenes Urteil

bilden. Man muss die Emotionen der Figuren fühlen, um ihre Sicht der Dinge zu erfassen!

Insbesondere hebe ich die Leistung von Orsen Tafalla hervor, der den Kanzler gibt. Er lässt ihn

dermaßen plastisch und real erscheinen, dass ich jedes Mal glaubte, persönlich dabei gewesen zu

sein!«
    »Hmm!«, machte Saedelaere, um den Redefluss des Kritikers zu unterbrechen. »Was meinst du mit

>dass man glaubt, persönlich dabei gewesen zu sein
von den Vorgängen, die die Vorlage zum mahnenden Schauspiel geliefert haben? Gab es dieses Reich

der Harmonie tatsächlich? Den See der Tränen?«
    Martus ließ ein kehliges Geräusch hören, das wahrscheinlich das Äquivalent eines Lachens

darstellte. »Das ist eine gute Frage, Alaska Saedelaere, die ich mir schon oft gestellt

habe.«
    »Nun?«
    »Vieles ist symbolisch simplifiziert dargestellt«, wich Martus aus. »So halte ich

beispielsweise die meisten der auftretenden Figuren für reine Zugeständnisse an die

theaterhistorischen Gepflogenheiten. Als Ausnahme bietet sich der Bote der Hohen Mächte an, der

nicht der klassischen Rolle des Boten entspricht, da er im Stück eine eigene Persönlichkeit mit

eigenem Willen und eigener Entscheidungsbefugnis hat - ein Unterhändler, wenn du so willst.«
    »Du sprichst von vielem - nicht von allem?«
    »Das ist richtig. Denn es existieren durchaus Fakten, die die Existenz des Reiches

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