258 - Chronik des Verderbens
durch die Schleuse hindurchging und in das leer gepumpte Labor eintrat. Er musste sich dabei tief bücken: Die Hydriten erreichten eine Körpergröße von knapp anderthalb Metern, während er als Marsianer über zwei Meter lang war. Die bionetischen Türen schlossen sich lautlos hinter ihm. Vogler nahm erleichtert den Helm ab. Er war froh, endlich wieder frei atmen zu können.
»Wie geht es Tel'mar?«, fragte der Waldmann in mühsam formuliertem Hydritisch und trat auf Mor'tras zu.
Die Hydriten und Clarice standen an der Haltevorrichtung der Genkugel, die in der Mitte des Raumes platziert war. Clarice und Vogler hatten die kopfgroße Kugel mit nach Gilam'esh'gad gebracht, ohne zunächst zu wissen, dass es sich bei ihr um eine der wertvollen Genkugeln handelte, mit deren Hilfe man alle nur erdenklichen Tierrassen und Pflanzen des Mars nachzüchten konnte, wenn man über die nötige Technik verfügte.
Auch Genproben der Hydree waren in dieser Kugel gespeichert und boten der Wissenschaftlerin Clarice Braxton die Möglichkeit, ein Medikament für die krankheitsbedingten Zellveränderungen der verwachsenen Hydriten zu entwickeln. Das Mittel sollte die Gene der zukünftigen Generationen stabilisieren. An dem kleinen Ast'ok zeigten sich bereits deutliche Fortschritte, denn das neugeborene Kind war weit unversehrter als alle anderen Junghydriten, die seit der Zeit der Seuche in Gilam'esh'gad geboren worden waren.
»Tel'mar und ihrem Sohn geht es gut«, beruhigte Clarice ihn. Sie schien zu spüren, dass er sich wirklich Sorgen machte.
»Aber das war reine Glückssache!«, fiel Pozai'don ein, der neben der Genkugel stand. »Dieser Krake muss vernichtet werden! Wann können wir mit der Jagd beginnen?«
Vogler atmete tief durch. Er sah zu Mor'tras. Der Sprecher der Verwachsenen nickte ihm gutmütig zu. Zumindest er war auf Voglers Seite.
»Wir haben uns doch darauf geeinigt, dass wir den Kraken nicht töten, sondern ihn lediglich betäuben und aus der Stadt schaffen.« Er merkte immer wieder, dass sein Hydritisch trotz der Geistverschmelzung mit Gilam'esh lange nicht so fließend war wie das von Clarice. Die Produktion der harten Klacklaute fiel ihm schwer. Doch er verstand wesentlich mehr, als er ausdrücken konnte.
»Damit er wieder zurückkehrt?«, brachte Pozai'don II. aufgebracht hervor. »Dieser Krake ist intelligent! Er wird sich wieder Rettungsquallen nehmen und mit ihnen in die Stadt eindringen!«
»Die alten Sicherheitsvorkehrungen wurden erneuert«, wandte Mor'tras ein. »Dem Kraken wird es nicht mehr gelingen, sie zu überwinden. Der Haupteingang der Stadt ist sicher und auf der Wasseraustauschröhre liegt wieder Strom.«
»Er hat Tel'mar fast umgebracht!«
Vogler verstand Pozai'dons Zorn. Er verstand aber auch den Kraken. »Meine Waffe wird bald fertig sein. Ich werde mich noch in dieser Nacht auf einen baldigen Jagdzug vorbereiten. Das Mittel wird den Kraken betäuben. Es ist ein hochkomplexes Nervengift, das ihn erstarren lässt. Wenn er gelähmt ist, bringen wir ihn aus der Stadt.«
Pozai'don klackerte verärgert ein altes hydritisches Schimpfwort. »Wir sollten ihn töten, sage ich!«
Clarice verdrehte hinter dem Wächter die Augen. Diese Diskussion wurde nicht zum ersten Mal geführt.
»Die Abstimmung hat bereits entschieden«, sagte Mor'tras fest. Er sah Pozai'don herausfordernd an. »Kraken sind stolze Tiere. Wir wollen nicht unnötig Leben auslöschen. Zu viel Leid gab es in Gilam'esh'gad.« Er sah Vogler bittend an. »Beeile dich, Waldmann vom Mars, damit wir dem Kraken Einhalt gebieten können.«
Vogler nickte ernst. Pozai'don stieß eine Verwünschung aus und verließ das Labor. Mor'tras folgte ihm in die Schleuse.
Der Baumsprecher sah zu, wie sich der kleine Raum mit Wasser füllte. Durch das klare bionetische Material konnte er erkennen, dass Mor'tras und Pozai'don aufeinander einredeten, während das Wasser ihre nackten Beine hinaufstieg.
Ich bin froh, dass Mor'tras da ist , dachte er. Der alte Hydrit hat seine eigene Meinung und lässt sich nicht blind von Pozai'don führen.
Vogler schauderte bei der Erinnerung daran, dass Pozai'don ihn hatte töten wollen. Er wäre fast in der Kammer der Macht zerquetscht worden. [6]
Clarice legte ihm ihre Hand auf die Schulter. Ihre blaugrünen Augen leuchteten wie Sterne. »Du kämpfst für diesen Kraken, als wäre er ein persönlicher Freund.«
Vogler hatte keine Lust, die Diskussionen mit ihr fortzusetzen, die sie bereits geführt hatten. Auch
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