2593 - Das Paralox-Arsenal
dieses Mediums hin.
»Und jetzt, mein Bester? Wie kommen wir zur anderen Seite des Zeitkorns und wie sammeln wir
dabei den Perianth- Kristall auf?«
Weit draußen, am Horizont, sah er Bewegung, und gleich darauf hörte er Geräusche, wie sie von
unzähligen ChitinBeinen verursacht wurden, wie sie früher, für ihn vor fast undenklichen Zeiten,
während terranischer Heuschreckenplagen, die Bewohner mancher Landstriche in Angst und Entsetzen
getrieben hatten.
Eine schwarze Wolke bildete sich. Sie bewegte sich langsam, aber stetig auf ihn zu.
Tiff kniff die Augen zusammen, um besser erkennen zu können, was da vor sich ging.
Doch es dauerte einige Minuten, bis er die tierischen Gestalten voneinander unterscheiden konnte:
Es waren mehrbeinige Wasserläufer, die, teils ineinander verkeilt und teils wild umherspringend,
den Weg zum Ufer suchten. *
Tausende, Zehntausende waren es, und sie nahmen wenig Rücksicht auf ihre Artgenossen. Ihnen
ging es einzig und allein ums Überleben inmitten dieses Schwarmtreibens.
Tiff hatte noch keine Möglichkeit, Größenvergleiche anzustellen, doch er schätzte die Tiere
auf etwa halb mannsgroß.
Er beobachtete einen willkürlich wirkenden Schwenk der Läufer. »Niedriges spezifisches
Gewicht. Sie lassen die chitingeschützten Unterleiber flach über die Flüssigkeit rutschen. Die
Oberfläche wird immer nur ganz kurz mit ihren Tellerbeinen berührt.«
Er beobachtete den Schwarm und analysierte die instinktgesteuerten Bewegungen der Läufer. Sie
ließen sich mal hier-, mal dahin treiben, um irgendwann einmal einen Uferstreifen anzusteuern,
wenige Gehminuten von seinem Standort entfernt - aber noch diesseits der Buschgrenze.
Etwas drängte aus dem Glycerin hoch. Weiße Fäden oder Arme, die in Zeitlupentempo nach
den Läufern tasteten und immer wieder Tiere erwischten.
Tifflor schluckte hart. Dieses Meer offenbarte immer mehr Gefahren, und angesichts der kurzen
Zeit, die ihm innerhalb der Zeitkorn-Kruste zur Verfügung stand, fragte er sich, wie er seine
Aufgabe jemals erfüllen sollte.
Lerne. Beobachte. Versuche zu verstehen.
Sein analytisch geprägter Verstand, sein ganzer Stolz, war eingerostet. Es war ihm niemals
schwergefallen, Ideen zu entwickeln und Assoziationsketten zu bilden. Doch nun ...
Tiff beobachtete, wie die Läufer an Land kamen und nun mit schwerfällig wirkenden Schritten
auf die Büsche zustaksten, um über das Dickicht herzufallen und die Blätter zu vertilgen. Er
verhielt sich so ruhig wie möglich. Keinesfalls wollte er auf sich aufmerksam machen.
Wer wusste schon, wie diese Schwarmtiere auf ungewohnte Eindringlinge reagierten?
Das große Fressen dauerte mehr als zwanzig Stunden. Draußen, vor der »Küste«, färbte sich die
Glycerin-See indes blassrosa.
Meterlange Arme glitten ins Freie. Ab und zu reckten die Seebewohner ihre weißen Leiber ins
Freie. Sie wirkten schlank und durchaus humanoid.
Sie bewegten sich elegant und vollführten einen fast hypnotisch wirkenden Tanz, der die Läufer
tatsächlich, nachdem sie die Büsche beinahe vollends abgeäst hatten, in Unruhe versetzte. Viele
von ihnen trippelten nervös hin und her, als könnten sie den Verlockungen nicht länger
widerstehen.
Als sich das erste Tier in Bewegung setzte, auf den Armdschungel zu, folgten ihm die anderen
wie Lemminge. Gut und gern die Hälfte stelzte und glitt über die Glycerin-Oberfläche auf die Wassermedusen zu, wie Tifflor die Seebewohner mittlerweile getauft hatte.
»Das sieht mir nach einem reichlich gedeckten Tisch aus«, meinte er und beobachtete, wie sich
die Läufer ohne weitere Gegenwehr ihrem Schicksal ergaben. Sie wurden in die Tiefe gezogen,
erbarmungslos, einer nach dem anderen, Hunderte und Aberhunderte, während am Ufer bloß einige
wenige Exemplare übrig blieben. Wahrscheinlich jene, die zu viel gefressen hatten und sich nicht
mehr bewegen konnten.
Tiff sah zu, mit jener Gemütsruhe, die er mittlerweile gewonnen hatte. Er würde sich kein
zweites Mal blindlings in das Meer stürzen.
Wenn er die Glycerin-See überqueren und seine Aufgabe erfüllen wollte, musste er sich
bestmöglich vorbereiten – und wenn es ein paar Jährchen dauerte.
*
Er verbrachte jeweils vierzig bis fünfzig Stunden im Land der Kruste, um dann wieder in den
Tunnel zurückzukehren und »sich die Beine zu vertreten«. Um Vitalenergie zu tanken, nachzudenken,
das Durst- und Hungergefühl zu verlieren und alle
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