26 - Die Sklavenkarawane
dreiundachtzigsten Sure erwähnt.
„Auch diesen Namen kenne ich nicht“, antwortete der Kleine.
Ein rundum laufendes Murmeln ließ erkennen, daß man sich über seine Unwissenheit wundere.
„So sag mir wenigstens, wo Sidschin liegt!“
Dieser Name befindet sich in derselben Sure und bezeichnet einen Ort der Unterwelt, in welchem das Verzeichnis der Handlungen aller bösen Menschen und Geister aufbewahrt wird; auch dieses Verzeichnis selbst wird Sidschin genannt.
„Weißt du es denn selbst?“ opponierte der Rotfrackige.
„Natürlich weiß ich es. Wir alle wissen es; du aber nicht?“
„Frage weiter!“ sagte der Kleine, ohne eine direkte Antwort zu geben.
„So sage mir nur noch, wo al' Ahkaf liegt!“
Al' Ahkaf bedeutet eigentlich Sandhaufen und ist der Name eines sehr sandigen Tales in der Provinz Hadramaut, wo die Aditen, von denen der Koran wiederholt spricht, gewohnt haben sollen. Dieses Tal wird im 21. Vers der sechsundvierzigsten Sure erwähnt, und darum wird diese ganze Sure Al' Ahkaf genannt.
„Auch das weiß ich nicht“, gestand der Ungar kleinlaut.
„So hast du mir nun schon zum drittenmal nicht antworten können! Ich wollte dir hundert und noch mehr ähnliche Fragen vorlegen, und du würdest bei jeder schweigen müssen. Wer ist nun der Kluge von uns beiden?“
„Keiner! Du hast mir nicht antworten können und ich dir nicht, folglich ist einer so klug wie der andre. Du kennst deine Völker und Dörfer und ich meine Wissenschaften und mein Latein. Wir wollen uns unsre Gelehrsamkeit in Zukunft nicht mehr streitig machen. Habe ich recht? Stimmst du mir bei?“
„Von ganzem Herzen!“ antwortete der ‚Vater des Gelächters‘ gerührt, wobei er aber ein Gesicht machte, als ob er sich über den Kleinen kranklachen wolle.
„So reich mir deine Hand und küsse mich! Wir sind Brüder und sind versöhnt. Mein Feind ist auch dein Feind, und deine Freunde sind auch meine Freunde!“
„So soll es sein jetzt und in alle Ewigkeit. Allah l' Allah!“
Sie umarmten und küßten sich, sprangen von ihrem Podium herab und schritten Arm in Arm von dannen.
„Sonderbare Kerle!“ lachte der Graue. „So 'was hab' ich fast noch nit g'schaut. Erst wollen s' sich fressen und dann küssen s' sich die G'sichter und trollen vergnügt davon. Kommt das denn öfters vor?“
„Täglich mehrere Male. Und dabei haben sie sich wirklich aufrichtig lieb. Diese beiden können ohne einander gar nicht leben, notabene wenn sie sich streiten dürfen. Sie gestehen selbst, daß das die Liebe erneuere.“
„Ich dank' gar schön! Aber brav sind's doch alle beid'?“
„Sehr! Sie hängen so an mir, daß sie für mich ihr Leben wagen würden. Sie werden sie schon näher kennenlernen, Herr Doktor.“
„Was! Wie nennen's mich? Doktor etwa? Damit kommen S' mir ja nit mehr!“ antwortete Pfotenhauer eifrig. „Das kann ich nit leiden! Deswegen hab' ich mich mit Ihrem Bruder schon oft 'zankt.“
„Aber es ist doch der Ihnen rechtmäßig zukommende Titel!“
„Ach was Titel! Ich pfeif darauf! Mein Nam' ist Ignatius Pfotenhauer. In der Heimat nennen's mich darum, und weil ich gern überall umherkraxelt bin, um Vögel zu fangen, rundweg nur den Vogel-Nazi. Wann S' mir die Freud' machen wollen, so sagen S' auch Nazi oder Naz zu mir!“
„Wenn Sie es wünschen, mir soll es recht sein!“
„Ja, ich wünsch' es sehr! Leut' wie wir, die von morgens bis abends und dann wiederum von abends bis morgens beisammen sind, die dürfen sich nit solche Titel und Komplimenten an die Köpf werfen. Aan Fremder, den ich nit kenn', und der mich nix angeht, der muß mir mit der erforderlichen Höflichkeit kommen; von dem verlang' ich allerdings, daß er mir meine Ehr' erweist und mich Herr Doktor Vogel-Nazi Pfotenhauer nennt. Wann er das nit tut, so soll ihn der Teufel reiten! Sie aber können sich die lange Red' dersparen, hören S'! Was geht da los? Die Gebetstund' ist doch noch nit da; die kommt erst zum el Deghri, also des Mittags, wieder.“
Der Fakir stand nämlich auf dem Minarett und schlug das Klangbrett an. Dann erhob er seine Stimme, aber nicht um zum Gebet zu rufen, sondern er verkündete mit lauter Stimme, so daß es über die ganze Seribah vernommen werden konnte: „Auf, ihr Gläubigen, versammelt euch, um die Stunde des Glückes zu befragen! Eilt zum Versammlungsplatz, um zu hören, ob ihr am Mittag aufbrechen dürft!“
Und dann ertönte der Schall der Darabukka, die Soldaten zum Sammeln zu rufen.
„Das ist die
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