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260 - Fly me to the moon

260 - Fly me to the moon

Titel: 260 - Fly me to the moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
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Detonation trieb ihn meterweit unter die Oberfläche. Salzwasser drang ihm in Mund und Nase. Er hustete, prustete, rang nach Luft… und endlich erreichte er wieder die Oberfläche, die vom Flackern des in hellen Flammen stehenden Schoners erhellt wurde. Doch nur Minuten später versank alles ringsum in tintiger Schwärze, als das einst stolze Schiff in den brodelnden Fluten versank.
    Von einem Moment zum anderen herrschte eine Stille wie in einem Grab, unterbrochen nur von den schwachen Geräuschen, mit denen Hi’schi, der nie schwimmen gelernt hatte, es aber offensichtlich als Drakulle instinktiv beherrschte, sich über Wasser hielt.
    Eine Weile trieb er mit geringem Körpereinsatz dahin. Der Himmel war immer noch eine bleierne Melange, in die sich hier und da Blitzmuster stahlen. Was geschehen wäre, wenn ein solcher Energiezacken in unmittelbarer Nähe eingeschlagen wäre, wollte sich Hi’schi gar nicht vorstellen. Aber es geschah glücklicherweise nicht.
    Selbst der Tod, so schien es, ließ sich von seiner Gabe betören.
    Andere hatten weniger Glück.
    Andere? Alle! Als der Himmel aufhellte und sich zu erinnern begann, dass nicht tiefe Nacht, sondern gerade mal Mittag war, fand sich Hi’schi umgeben von treibenden Leichen.
    Ron war nicht darunter. Aber Hi’schi glaubte nicht, dass ausgerechnet der Junge das Unglück überlebt haben könnte. Dass er selbst es im Gegensatz zu all den Menschen geschafft hatte, empfand Hi’schi in seiner Situation, allein zwischen den Toten treibend, eher als Strafe denn als Segen.
    Dann plötzlich – ein Ruf! Brüchig zwar, aber nichtsdestotrotz ein Hoffnungsschimmer.
    »Mis… ter!«
    Ron hatte ihn manchmal so genannt. In welcher Bedeutung auch immer dies letztlich gemeint war – diese Stimme… Hi’schi glaubte sie wiederzuerkennen. Hektisch drehte er sich mit Arm- und Beinbewegungen um die eigene Achse, spähte nach dem Schiffsjungen, der das Inferno ebenfalls überlebt haben mochte.
    Doch als er ihn fand und zu ihm schwamm, bedauerte er, ihn noch einmal sehen zu müssen. Es bestand keine Aussicht, dass Ron diese Verletzungen überleben würde. Offenbar existierte ein gnädiger Gott der Menschen so wenig wie die Große Echse der Drakullen, die Hi’schi während seiner Gefangenschaft so oft vergeblich angefleht hatte. Hätte es ihn gegeben, er hätte dies nicht zulassen dürfen!
    Um Ron herum schwammen wurstartige Gebilde, die Hi’schi im ersten Moment für Teile eines Rettungsgeräts hielt, die aufgeblasen werden mussten, um einen Menschen über Wasser zu halten. Doch bald schon erkannte er die furchtbare Wahrheit: Es handelte sich um die Gedärme des Jungen, dessen Unterleib – wahrscheinlich beim Aufprall auf das brettharte Wasser – wie eine überreife Frucht aufgeplatzt war. Das eingedrungene Wasser musste jetzt das Herz umströmen; dass es noch nicht zum Stillstand gekommen war, grenzte an ein Wunder.
    »Junge…« Hi’schi hatte ihn erreicht – und wusste, er konnte nur noch eins für ihn tun. »Junge, lebt deine Mutter noch?«
    »Wa… rum … fragst … du?«
    »Denk an deine Mutter.«
    Rons Blick flackerte. »Sie…« Er bäumte sich auf. Sein bläulich schimmerndes Gesicht gewann ein letztes Mal eine fast gesunde Färbung. Seine Augen starrten Hi’schi groß wie Monde an. »Mutter…?«
    Dann brach sein Blick. Das Wasser um ihn herum geriet kurz in Bewegung, weil seine Beine noch einmal gestrampelt hatten. Aber die Wellen sah Ron selbst schon nicht mehr.
    Hi’schi wandte sich ab, schwamm ein Stück weit fort, weil er das Bild nicht ertrug.
    Kurz darauf kamen die Shaaks.
    Doch auch sie verschonten ihn, obwohl – falls Hi’schis Gabe auch bei ihnen funktionierte – sie doch die verlockendste Beute überhaupt in ihm hätten erblicken müssen. Stattdessen hielten sie respektvollen Abstand. Es gab ja auch genug andere Beute.
    Die Geräusche brechender Knochen und reißenden Fleisches begleiteten Hi’schi noch lange, bis er – oder sein Körper – sich entschloss, die Bewegungen, die ihn über Wasser hielten, einzustellen.
    Er verlor das Bewusstsein…
    … und fand sich, als er wieder zu sich kam, an den Gestaden einer Insel wieder, die ihm für lange Zeit ein ungeliebtes Zuhause sein sollte.
    Der Tod, die Shaaks und das Meer hatten ihn nicht gewollt.
    Und ins Leben fand er auch nur schwer zurück…
    ***
    Gegenwart
    Hi’schi kam zu sich; sein Geist tauchte aus dem Meer der Träume auf, wie sein Körper damals aus dem Meer der Toten an die Gestade

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