260 - Fly me to the moon
stimmte.
»Margret heiße ich nicht«, antwortete er ausweichend und suchte in seiner Erinnerung nach einem Namen für ein Menschenweibchen.
Ron hatte einmal von seiner Schwester erzählt – wie hatte sie noch gleich geheißen? »Roxanne!«, fiel es ihm ein. »Mein Name ist Roxanne. Und wie darf ich Euch nennen?« Hi’schi stellte sich unwissend.
»Nenn mich Käpt’n. Einfach nur Käpt’n. Alle meine Frauen nannten mich so.«
»Ich verstehe… Käpt’n.«
Speichel troff Satchmo aus den Mundwinkeln. Seine Wangen waren gerötet. Schweiß perlte ihm auf Stirn und Oberlippe. Er schien getrunken zu haben, wie sein Atem verriet. Voller Abscheu sah ihn Hi’schi auf sich zu wanken.
Doch bevor er ihn erreichte, erbebte das Schiff in einem gewaltigen Krachen.
Für eine Sekunde war alles in blendende Helligkeit getaucht und schien die Szene, in der auch Hi’schi ein Bestandteil war, zu gefrieren.
Satchmos Augen waren weit aufgerissen. Und als wieder Bewegung in ihn kam, tauchte bereits Ron oben an der Luke auf und schrie, wie Hi’schi – und vermutlich auch der Kapitän – ihn noch nie hatte schreien hören: »Getroffen! Wir wurden von einem Blitz getroffen! Käpt’n – es brennt!«
Von einem Moment auf den anderen ernüchtert, jagte Satchmo nach oben. Er stieß den Schiffsjungen brutal zur Seite und verschwand aus Hi’schis Blickfeld.
Hi’schi seinerseits kletterte ebenfalls nach oben. Flammenschein flackerte auf Deck, aber erst, als Hi’schi den Kopf aus der Öffnung schob, wurde er mit dem ganzen Ausmaß der Katastrophe konfrontiert.
Obwohl heller Tag hätte sein müssen, schien die LADY BEDFORD durch tiefste Mitternacht zu dümpeln. Noch immer regte sich keine Brise. Der Himmel war schrecklich in seinem bleiernen Dunst, aus dem immer wieder Blitze ins umliegende Meer krachten.
Auf dem Achterdeck waren Matrosen mit der Bergung eines Segels beschäftigt, von dem nur noch Fetzen existierten. Der Hauptmast war gespalten. Hi’schi glaubte zu erkennen, welches Unglück sich als Folge des Blitzeinschlags ereignet hatte: Offenbar hatte die Urgewalt den Weg in den Schiffsbauch gefunden – genau dorthin, wo die Öfen den Dampf für den Antrieb erzeugten. Die Maschinen waren in die Luft geflogen und der schreckliche Brand, dessen Feuer über die Deckaufbauten leckten, hatte dort unten seinen Anfang genommen.
Hi’schi überschaute das Ausmaß des Infernos mit unbestechlicher Klarheit. Kein lebendes Wesen würde dieses Feuer noch rechtzeitig löschen und damit den Untergang der LADY BEDFORD verhindern können – nur das Meer selbst würde die sinkenden Überreste von den Flammenzungen befreien.
Er wandte sich an Ron, der neben ihm auf den Planken lag. Seine linke Gesichtshälfte, wo ihn die Faust des Kapitäns getroffen hatte, war blaugelb angeschwollen, außerdem war seine Lippe aufgeplatzt. Blut lief über sein Kinn und verschwand im Hemdkragen.
Hi’schi schüttelte den Schiffsjungen. »Gibt es Rettungsboote?«
Ron nickte schwerfällig. »Eins. Aber das krallt sich schon der Käpt’n…«
Hi’schi sah es selbst, als er in die Richtung blickte, in die der Junge wies: Satchmo und ein paar seiner engsten Vertrauten hatten bereits in der Nussschale Platz genommen, während andere Matrosen mit der Winde beschäftigt waren, die das Boot über die Reling hieven und zu Wasser bringen sollte.
Mit einem Mal wurde Hi’schi völlig ruhig. Irgendetwas in ihm deckte jedes Quäntchen Furcht und Verzweiflung zu, als wären es Elmsfeuer, die über die Takelage tanzten und leicht mit einem Tuch zu ersticken waren.
Seine Gedanken waren auf einmal ganz klar.
Er musste seine Befähigung nutzen, um das Boot für sich und Ron in Besitz zu bringen. Er musste erreichen, dass die Matrosen ihn als Ungeheuer sahen, als schrecklichen Nachtmahr, der ihnen ans Leben wollte. Nur wenn sie das Rettungsboot aufgaben und in heilloser Flucht in die See sprangen…
Er führte weder den Gedanken noch sein Vorhaben weiter aus.
Denn in diesem Augenblick zerriss eine Explosion, die ihren Ursprung irgendwo da unten bei den Maschinen hatte, die LADY BEDFORD.
Hi’schi fühlte sich von einer Titanenfaust über Bord gedroschen.
Reflexartig packte er Ron am Arm, doch der Junge wurde ihm förmlich aus den Fingern gerissen, bevor sie ins Wasser des Ozeans stürzten. Im Wirbel des sich überschlagenden eigenen Körpers verlor Hi’schi ihn aus den Augen… und dann prallte er auch schon auf die fast spiegelglatte See.
Die Wucht der
Weitere Kostenlose Bücher