261 - Ein falscher Engel
hatte. Unzählige weitere Tötungsinstrumente stapelten sich an den Wänden und in Schränken. Ninian beachtete sie nicht; ihr genügten ihre eigenen Waffen.
Dann verließ sie die Waffenkammer wieder – und wurde in der nächsten Sekunde gestoppt. Ein Mann sprang um eine Gangbiegung. »Halt!«, brüllte er und hielt eine Pistool auf Ninian gerichtet.
»Keine Bewegung mehr! Sonst blas ich dir das Gehirn aus’m Schädel!«
Ninian erkannte Lees, den Barden. Sie blieb stehen und hob sogar leicht die Hände, doch ein wenig überrascht darüber, wie schnell man die richtigen Schlüsse gezogen hatte. Wirklich beunruhigt war sie aber nicht.
Weitere Krieger, mit Schwertern und Speeren bewaffnet, erschienen hinter Lees. Sie alle starrten sie hasserfüllt an. Von weiter hinten kam plötzlich ein schmerzerfüllter Ruf: »Der Chieftain ist tot!« Klar: Gleich nach der ersten Explosion war jemand zu Gallo geeilt, um ihn zu alarmieren, und hatte die Leiche gefunden.
»Orguudoo verdamm dich!«, schrie Lees. »Wer hat dich geschickt? Die Mecgregers, ich hab’s gleich gewusst! Los, leg sofort deine Waffen ab! Noch besser: Zieh dich aus. Ganz nackt. Sonst schieß ich!«
Ninian ließ die Schultern sinken und nickte. Sie legte die Flügelschwerter vor sich auf den Boden – und als sie sich wieder aufrichtete, griff sie zu der Flöte um ihren Hals. Anstatt sie aber abzunehmen, presste sie das Mundstück an ihre Lippen und blies kurz und kräftig hinein.
Im selben Moment schrie Lees auf und fasste sich an den Hals.
Dann gurgelte er und ließ die Pistool fallen. Weit riss er den Mund auf, um nach Luft zu schnappen, aber das tödliche, schnell wirkende Gift, das auf den kleinen Pfeil aufgetragen war, ließ ihm keine Chance. Als Lees auf den Boden sank, war er bereits tot.
Ninian handelte längst. Sie schlug einen Rolle, griff dabei nach den Flügelschwertern und rannte wie ein Racheengel auf die Phalanx der Krieger zu. Dabei wirbelte sie die Schwerter so geschickt um sich, dass eine undurchdringliche Wand aus Eisen entstand. In solchen Momenten bedauerte sie es, nicht auch noch wilde Kampfschreie ausstoßen zu können.
Aber es reichte auch so. Ein Kampfbeil, das angeflogen kam, wehrte sie mit einem Hieb ab, während sie den Oberkörper gleichzeitig zur Seite wegdrehte. Es klirrte metallisch, das Beil knallte gegen die Wand und fiel zu Boden.
Wie das personifizierte Verhängnis kam die stumme Furie über die Krieger. Knochen splitterten und schrille Schreie ertönten, als die Flügelschwerter sich in einen Halsansatz und einen nackten Oberarm fraßen. Blut spritzte, während zwei der Krieger zu Boden gingen. Die anderen versuchten zurückzuweichen und kamen sich in der Enge des Ganges gegenseitig in die Quere. Ninian hatte leichtes Spiel.
Einmal erwischte eine Messerschneide sie quer über das Gesicht, ein andermal ein Schwerthieb am Oberschenkel. Beide Wunden waren nicht schwer, aber der Schmerz machte sie wütend. Sie durchbohrte die Angreifer mit ihren Flügelschwertern.
Zwei Kämpfer entkamen. Die Exekutorin folgte ihnen nicht, sondern lief erst ein Stück zurück und nahm Lees’ Pistool an sich. Dann rannte sie in die entgegengesetzte Richtung. Durch einen zweiten Aufgang gelangte sie in die Vorhalle. Erste Speere und Pfeile flogen, denn keiner der Freesas traute sich mehr an sie heran. Doch alle Geschosse waren zu schlecht gezielt. Sie schien tatsächlich fast sämtliche ausgebildeten Krieger mit der ersten Boomb erwischt zu haben, und die restlichen unten im Kellergang.
Obwohl sie Fernwaffen verabscheute, half ihr die Pistool, nun auch die Bogenschützen außer Gefecht zu setzen. Der Rest war ein Kinderspiel.
Als sie keine Gegner mehr fand – gut möglich, dass die letzten Überlebenden sich vor ihr verbargen –, holte sie ihren Fellmantel, legte Feuer und verließ die Burg.
Als sie den Waldrand erreichte, blieb sie stehen und blickte zurück. Die Burg der Freesas stand in hellen Flammen. Fasziniert betrachtete Ninian ihr Werk. Sie wollte sich gerade mit Gewalt davon abwenden, als das Gemäuer förmlich auseinander gerissen wurde.
Das Feuer musste die Deestyl erreicht haben. Der riesige grellrote Feuerball, der sich hoch bis an die Schneewolken auszubreiten schien, schoss schwere Gesteinsbrocken nach allen Seiten weg. Sie flogen in Begleitung eines unheimlich rollenden Donners über das ganze Tal, prasselten auf die Häuser und durchschlugen das Eis des Lokreench. Meterhohe Fontänen spritzten empor. Selbst
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