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261 - Ein falscher Engel

261 - Ein falscher Engel

Titel: 261 - Ein falscher Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Schwarz
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Myrial saß auf einer Holzbank in der Sonne und sah den Männern bei der Arbeit zu.
    Die Tragödie in Kileeg vor drei Tagen ging Rulfan nicht aus dem Kopf. Gestern Morgen war ein Bote Jed Stuarts vorbei gekommen, um ihn davon zu unterrichten, dass sich bei den Freesas ein schlimmes Unglück in der Deestyl ereignet hatte. Der Schock, der durch die Highlands schwappte, war damit auch auf Canduly Castle angekommen.
    Rulfan bekam Magendrücken, wenn er an die über hundert Toten und zahlreichen Schwerverletzten dachte, die es in Kileeg gegeben haben sollte. Und wenn er weiter daran dachte, dass unter Umständen die Mecgregers etwas damit zu tun hatten, verstärkte sich sein Magendrücken um ein Vielfaches. War Wallis unter dem Druck seiner Männer eingeknickt und hatte einen Rachefeldzug gestartet?
    War der angebliche Unfall also gar keiner?
    Von den Zinnen wurde ein Schrei laut. »Besuch naht!«
    Rulfan richtete sich auf, ließ den Hammer fallen und wischte sich über die Stirn. »Besuch? Wahrscheinlich jemand von Stuart Castle. Kleine Pause, Männer, holt euch was zu trinken.«
    Rulfan turnte von dem über drei Meter hohen Dach herunter und wischte sich den Schweiß mit Schnee vom nackten Oberkörper.
    Rasch schlüpfte er in seinen Mantel und ging zum Burgtor. Myrial und Turner begleiteten ihn.
    Rulfan trat durch das Tor hinaus auf die Schneefläche, auf der sich das Sonnenlicht in tausend Reflexen spiegelte. Er kniff geblendet die Augen zusammen und beschattete sie mit einer Hand. Im ersten Moment konnte er nichts erkennen. Dann schälte sich aus der Lichtflut allmählich ein Schatten, der den Hang hoch kam, sich von der Silhouette des Waldes löste und mit jedem Schritt deutlicher wurde.
    Kein Reiter, wie Rulfan angenommen hatte. Der Ankömmling war zu Fuß unterwegs.
    Plötzlich hörte er Myrial hinter sich keuchen. Fast im selben Moment erkannte auch er die Gestalt, die nur noch etwa fünfzig Meter entfernt war. Ninian!
    »Was will die Frau hier?«, fragte Myrial leise, und Rulfan hörte fast so etwas wie Panik in ihrer Stimme mitschwingen.
    »Wir werden es sicher gleich wissen«, gab er zurück und versuchte gar nicht erst, locker zu wirken.
    Als die Kriegerin bis auf zehn Meter herangekommen war, streckte Rulfan die Hand aus. »Halt!«
    Ninian blieb stehen. Ihr rotes Haar leuchtete in der Sonne. Sie bewegte die Lippen.
    »Ihr wartet hier«, befahl Rulfan den anderen und ging zu der Kriegerin hin. Zwei gerade wieder verheilende Kratzer zogen sich quer über ihr Gesicht und ihren Oberschenkel. »Wie hast du mich gefunden?«
    »Das war nicht schwierig, Rulfan, mein Aynjel. Viele Menschen kennen deinen Namen und wissen, wo du wohnst.« Sie berührte ihn an der Hand.
    Sofort zog er sie zurück. »Wir müssen reden, Ninian.«
    »Ja. Du willst von mir wissen, ob ich deinen Auftrag zu deiner Zufriedenheit ausgeführt und mich so bewährt habe, mein Aynjel.«
    Stolz lag plötzlich in ihrem kindlichen Gesicht, ihre hellen Augen leuchteten. »Ja, ich habe ihn ausgeführt und deine weitere Prüfung bestanden. Und ich freue mich, dass ich nun endgültig in deinem Licht wandeln darf, mein Aynjel.«
    »Was für ein Auftrag?«, fragte Rulfan verblüfft.
    »Du willst mich noch immer prüfen?« Sie lächelte. »Aber ich weiß ja, dass man sich das Vertrauen und die Zuwendung eines Aynjels erst erwerben muss.«
    Was faselt die da?
    »Dein Auftrag war«, fuhr sie fort, »die ganzen Freesas für das Massaker bei den Mecgregers zur Rechenschaft zu ziehen! So lauteten deine Worte.«
    Rulfan erstarrte. Er wollte atmen, aber irgendwie bekam er keine Luft. Sein Magen verkrampfte sich zu einem einzigen großen Klumpen, während seine Hände plötzlich zitterten. »Du hast… du hast … was getan?« Seine Stimme glich dem Krächzen eines Kolks.
    »Ich habe die Freesas getötet, so wie du es wolltest, mein Aynjel. Und wenn mir der eine oder andere doch entkommen sein sollte, dann gehe ich sofort zurück nach Kileeg, suche ihn und töte auch ihn noch. Du musst es mir nur befehlen.«
    Nur mit äußerster Selbstbeherrschung konnte sich Rulfan im Zaum halten. Er hätte Ninian am liebsten den Hals umgedreht. Als er sich von ihr abwandte, sah er, dass seine Bediensteten mit erhobenen Schwertern aus dem Burgtor eilten. Er stoppte sie mit einer Handbewegung und drehte sich wieder Ninian zu. »Du wirst ab jetzt keine Freesas mehr töten. Keinen einzigen mehr. Verstanden?«
    Sie strahlte. »Natürlich. Wie du willst, mein Aynjel. Das freut mich sehr,

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