263 - Von Menschen und Echsen
lang verschüttet gewesen.
Er ließ sich Zeit, um zu der Stelle zu gelangen. Er genoss es, seinen Körper zu dehnen und zu strecken und seine Kräfte auszutesten. Als er einen halbmannsgroßen Laufvogel entdeckte, der im Schatten eines riesigen Farngewächses graste, schnellte er darauf zu und fing ihn mit bloßen Händen ein. Seine Reflexe waren nach wie vor gut, wie auch seine Kräfte denen eines Primärrassenvertreters überlegen waren.
Grao missachtete den lautstarken Protest des Federviehs. Er drehte dem Tier die Luftzufuhr ab und wartete, bis es verendete. Mit einem kurzen Ruck riss er den Kopf vom Leib und sah zu, wie helles rotes Blut aus dem Körper quoll.
Blut. Kein Dampf.
Verärgert wandte sich Grao'sil'aana von dem Tierkadaver ab. Er hatte sich allzu leicht von seiner Suche nach den Spuren Daa'tans ablenken lassen.
Der Daa'mure musterte das offene Gelände. Er entdeckte weitere Fährten, die von Tieren herrührten. Neben einem winzigen Hügel drangen langstielige Blumen mit weißen Blüten aus dem Erdreich. Aus ihren Kelchen tropfte hellgelbe Flüssigkeit schwer zu Boden, um dort lange Kolonnen von Ameisen anzulocken. Ein rosa Knospen treibender Baum wuchs daneben dem Himmel entgegen, in seinem Geäst hatte sich eine laut zwitschernde Kolonie Vögel versammelt.
Ein winziger Hügel…
Er war gerade so groß, dass darunter ein normal gewachsener Primärrassenvertreter zur ewigen Ruhe gebettet sein mochte.
Grao kniff die Augen zusammen. Über ihm braute sich ein Unwetter zusammen. Es donnerte. Ein letzter einsamer Lichtstrahl tanzte über die Ebene. Er brachte irgendetwas zum Glänzen, das dort, vor ihm, im Gras lag.
Graos Atmung beschleunigte sich unwillkürlich. Er stand auf, konzentrierte sich nun zur Gänze auf den flirrenden Reflex. Täuschte er sich, oder wuchsen dort die Gräser in der ungefähren Form eines Rechtecks kürzer und heller?
Er sprang von seinem Stein herab und eilte auf den Hügel zu. Ein Räuber, halb so groß wie er, sprang ihn an. Es kümmerte Grao nicht. Er packte das Tier am Hals, ließ einige Bisse über sich ergehen und schleuderte es dann meterweit beiseite. Laut jaulend kam der Fleischfresser auf die Beine und eilte davon, während Grao sein Ziel erreichte.
Er bückte sich und strich knöchelhohe Grashalme beiseite. Ein handlanges Insekt stieß mit seinem dunkelroten Hinterteil nach ihm, wollte ihm einen Giftstachel in die Haut treiben. Er zerdrückte das Tier und machte weiter bei seiner Suche nach jenem Gegenstand, dessen Glanz den Lichtstrahl reflektiert hatte.
Da war er. Es handelte sich um ein sorgsam geschmiedetes Stück Stahl. Den Teil eines Schwerts.
Nuntimor, Daa'tans Schwert.
***
Grao'sil'aana nahm mit Bedauern zur Kenntnis, dass sein Ziehsohn zu Tode gekommen war. Er hatte mit diesem Ende Daa'tans gerechnet. Er fühlte einen milden Hauch von Schmerz und beklemmenden Druck im Brustbereich.
Es stand außer Frage, dass Mefju'drex für dieses Unglück verantwortlich war. Er und seine barbarische Freundin. Die beiden streiften seit langen Jahren über die Erde und mischten sich in alles ein, was sie nichts anging. So war Mefju'drex einst in eine der Daa'muren-Brutstätten am Kratersee eingedrungen und hatte mit der Zerstörung eines der Eier bewiesen, dass er der Primärfeind der Daa'muren unter den Menschen war. Ging es nach den strengen Gesetzen der Logik, hätten die beiden längst ihr Leben verlieren müssen; doch irgendwie entkamen sie immer wieder dem ihnen zugedachten Schicksal. Fallen hatten versagt, Hinterhalte waren misslungen, Frontalangriffe aufgrund der erbärmlichen Dummheit der manipulierten Primärrassenvertreter gescheitert.
Konnte es sein, dass irgendeine höhere Macht ihre schützenden Hände über Mefju'drex und seine Begleiterin hielt? Gab es einen Faktor, den er bislang nicht mit ins Kalkül gezogen hatte? Oder hatte der Erzfeind einfach nur… Glück?
Grao schob seine Hände tief in die Erde. Die Kühle tat ihm gut. Er begann zu graben. Langsam und ruhig, so, als besäße dieser Akt eine ganz besondere, reinigende Bedeutung. Er schaufelte schlammiges Erdreich beiseite, zerriss Wurzelwerk, scherte sich nicht um all die Krabbeltiere, die über ihn herfielen.
Er stieß auf etwas Weiches, das in Stoff gewickelt war. Grao hielt inne. Sollte er weitermachen, oder sollte er dem Ziehsohn seine Ruhe gönnen?
Es gab kein Zurück. Er brauchte Gewissheit.
Mit noch größerer Sorgfalt fuhr der Daa'mure fort, schöpfte Erde aus dem Boden, ohne
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