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263 - Von Menschen und Echsen

263 - Von Menschen und Echsen

Titel: 263 - Von Menschen und Echsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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zu ruhen oder zu rasten. So lange, bis er Daa'tans Leichnam vollständig freigelegt hatte.
    Der Schmerz in Grao'sil'aanas Brust steigerte sich in einem nahezu unerträglichen Ausmaß. Dampf wollte sich aus seinem Körperinneren einen Weg nach draußen bahnen.
    Er sah keinerlei Anzeichen von Verwesung. Das Gesicht des erwachsenen Jungen wirkte friedlich; so, als würde er bloß schlafen und jeden Augenblick wieder aufwachen.
    Grao streichelte Daa'tan unbeholfen über die kantigen Linien seines Gesichtes. Er fühlte etwas in seiner Kehle wachsen. Feuchtigkeit vermengte sich mit diesem sonderbaren Druckgefühl in seiner Brust. Der Echsenkörper durchlief ohne sein Dazutun ungewohnte biochemische Reaktionen, die er nur ansatzweise verstand.
    Falsch. Der Daa'mure musste zur Kenntnis nehmen, dass jene irdischen Gefühle , unter denen er litt, die Tage und Wochen des Scheintodes ebenso überdauert hatten wie sein Geist. Auf Daa'mur hatte es solcherlei nicht gegeben; dort hatte man nach den Gesetzen der Logik, des Aufwand-Nutzen-Faktors gehandelt. Sich in die Menschen hineinzudenken war anfangs unmöglich gewesen, doch mit Übernahme der gezüchteten Wirtskörper war es den Daa'muren immer leichter gefallen. Was vermutlich mit den primitiven Gehirnen zusammenhing, in die sie »eingezogen« waren.
    Erstmals meinte Grao zu verstehen, mit welchen Gefühlen die Primärrassenvertreter im Angesicht des Todes konfrontiert wurden. Er unterdrückte mühsam seine Regungen und widmete sich dem vordergründigen Problem. Daa'tan hatte etwas besessen, das er unbedingt benötigte. Er grub und scharrte und kratzte, suchte das weitere Umfeld rings um den Leichnam ab.
    Nichts.
    Er legte den Toten zur Gänze frei. Die Arme Daa'tans waren über der Brust gekreuzt, die Hände zu Fäusten geformt. Alles sprach dafür, dass ihn seine Mutter vergraben hatte, irgendwelchen seltsamen Ritualen gehorchend.
    Es gab nur noch einen Ort, an dem Grao'sil'aana nicht gesucht hatte. Er griff mit den Armen unter den Körper seines Ziehsohnes, drehte ihn vorsichtig in eine Seitenlage - und fand, wonach er gesucht hatte. Da lag der Kristallsplitter, mit dessen Hilfe Thgáan gezielt zu steuern war. Was für eine Nachlässigkeit seiner Gegner, ihn so einfach hier zurückzulassen…
    Grao zog das Kristallstück behutsam aus der Grube und reinigte es von Erde, bevor er es sich gegen die Stirn presste. Dann verschob er seine Hautschuppen derart, dass der Splitter gleichsam darin versank und festgehalten wurde.
    Er fühlte den grün schillernden Stein in seiner Stirn. Er vermittelte Heimat. Erinnerungen. Wehmut - und er ließ ihn die so klar strukturierte Gedankenwelt des Lesh'iye erfassen.
    Gut so. Er hatte seine Ausgangssituation gehörig verbessert. Nun galt es zu überlegen, wie er weiter vorgehen sollte.
    Maddrax und Aruula standen einmal mehr an oberster Stelle seiner Agenda. Sie hatten ihm so viel genommen, hatten so viel zerstört. Er musste sie finden und zur Rechenschaft ziehen. Das Urteil über sie war gesprochen. Grao musste sich auf die Suche machen, die beiden Menschen finden, sie auslöschen. Erst dann würde er sich besser fühlen.
    Er überlegte: Folgte er einer logisch nachvollziehbaren Gedankenkette - oder wurde er lediglich vom Wunsch nach Rache getrieben?
    Was spielte es für eine Rolle? Daa'tan war tot.
    Sorgfältig drehte er den Körper des Jungen zurück auf den Rücken - und hielt plötzlich inne.
    Da waren dünne Fäden, die aus Schultern und Hüften wuchsen. Sie bewegten sich im aufkommenden Wind, als entwickelten sie ein Eigenleben. Grao folgte einem der Stränge mit den Fingern. Er reichte in die Erde, und er fühlte sich robust an. So robust wie… eine Wurzel.
    Von einem Moment zum nächsten prasselte monsunähnlicher Regen auf ihn herab. Es wurde laut und lauter, die Totengrube Daa'tans füllte sich rasend schnell mit Wasser.
    Es wurde Zeit, dass Grao diesen Ort verließ und sich auf die Suche nach zwei Mördern machte. Aber wo konnten sie sich aufhalten? Er rief sich in Erinnerung, was daa'murische Spione einst über die beiden herausgefunden hatten.
    Seit Mefju'drex' Erscheinen waren sie kreuz und quer über die Erde gereist, hatten überall Kontakte geknüpft. Aussichtslos, all diese Stationen abzusuchen; das hätte Jahre gedauert, wenn nicht Jahrzehnte. Aber es gab eine andere Möglichkeit: Das Konzept »Heimat« war auch bei den Menschen stark ausgeprägt; das hatten sie mit den Daa'muren gemein.
    Mefju'drex kam - auch wenn es

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