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Mutter sie besuchen kam, erzählte Silvana manchmal, dass Llanos sie schlug. Manchmal hielten Mutter und Tochter sich stundenlang im Arm, heulend und ohne Licht zu machen. Die Verhaftung von Llanos bereitete nicht die geringsten Schwierigkeiten, und zum ersten Mal war Lalo Cura mit dabei. Zwei Streifenwagen der Polizei von Santa Teresa fuhren vor, man klopfte an der Tür, Llanos öffnete, und wortlos trat man ihn zu Boden, legte ihm Handschellen an und brachte ihn aufs Revier, wo versucht wurde, ihm auch den Mord an der Unbekannten aus der Calle Alondra anzuhängen, oder wenigstens den an der Unbekannten, die man in der neuen städtischen Mülldeponie gefunden hatte, aber ohne Erfolg. Silvana Pérez selbst war sein Alibi, denn an den fraglichen Tagen waren er und Silvana gesehen worden, wie sie friedlich in der kümmerlichen Grünanlage der Siedlung Carranza spazieren gingen, wo gerade Jahrmarkt war; sogar Silvanas Verwandtschaft hatte sie dort gesehen. Und was die Nächte betraf, die hatte er sich bis vor knapp einer Woche mit Nachtschichten in der Maquiladora um die Ohren geschlagen, das konnten seine und ihre Kollegen bezeugen. Für den Mord an Silvana bekannte er sich schuldig und bereute lediglich, dass er versucht hatte, sie zu verbrennen. Sie war ein Schatz, meine Silvana, sagte er, so etwas Grausames hat sie nicht verdient.
Ebenfalls in jenen Tagen erschien im Fernsehen eine Hellseherin namens Florita Almada, die von ihren nicht sehr zahlreichen Anhängern La Santa genannt wurde. Florita Almada war siebzig und hatte vor nicht allzu langer Zeit, vor zehn Jahren, die Erleuchtung erlangt. Sie sah Dinge, die sonst niemand sah. Sie hörte Dinge, die sonst niemand hörte. Und sie wusste für alles, was ihr geschah, eine vernünftige Erklärung zu finden. Bevor sie zur Hellseherin wurde, war sie Kräuterfrau, ihr eigentlicher Beruf, wie sie sagte, denn Hellseherin bezeichnete doch jemanden, der sehend war, und sie sah manchmal nichts, die Bilder waren verschwommen, das Gehörte gestört, als wäre die innere Antenne, die ihr gewachsen war, falsch ausgerichtet oder bei einer Schießerei durchlöchert worden oder bestünde aus Alufolie, mit der der Wind sein Spiel triebe. Daher also, obwohl sie sich als Hellseherin verstand und akzeptierte, dass auch ihre Anhänger sie so sahen, hatte sie mehr Vertrauen in Kräuter und Blumen, in gesunde Ernährung und Gebet. Personen mit Bluthochdruck riet sie zum Beispiel, auf Eier, Käse und Weißbrot zu verzichten, weil diese Lebensmittel viel Natrium enthielten und Natrium Wasser ziehe, wodurch sich das Volumen des Blutes und damit der arterielle Druck erhöhe. Klar wie Kloßbrühe, sagte Florita Almada. Auch wer für sein Leben gern Eier nach mexikanischer oder Farmer Art zum Frühstück esse, solle, wenn er an arterieller Hypertonie leide, aufhören, Eier zu essen. Und wenn er aufgehört habe, Eier zu essen, könne er auch aufhören, Fleisch und Fisch zu essen, und sich ausschließlich von Reis und Früchten ernähren. Reis und Früchte, das sei hervorragend für die Gesundheit, vor allem, wenn man die Vierzig überschritten habe. Sie sprach sich auch gegen übermäßigen Fettverzehr aus. Der Anteil der mit der Nahrung insgesamt aufgenommenen Menge an Fett, sagte sie, sollte nie mehr als fünfundzwanzig Prozent betragen. Ideal ist ein Wert, der sich um fünfzehn bis zwanzig Prozent bewegt. Aber Leute, die Arbeit haben, verzehren manchmal zu achtzig oder neunzig Prozent Fett, und wenn es sich um eine einigermaßen feste Arbeit handelt, kann der Fettkonsum auf bis zu hundert Prozent steigen, einfach abscheulich, sagte sie. Dagegen lag der Fettverbrauch bei Arbeitslosen bei dreißig bis fünfzig Prozent, was genau genommen auch schlimm war, weil die armen Leute nicht nur unterernährt waren, sondern obendrein schlecht unterernährt, wenn Sie verstehen, was ich meine, sagte Florita Almada, unterernährt zu sein ist schon für sich genommen schlimm, und schlecht unterernährt zu sein macht den Kohl nicht mehr oder weniger fett, vielleicht habe ich mich unklar ausgedrückt, ich wollte sagen, eine Tortilla mit Chili ist gesünder als gebratener Hunde-, Katzen- oder womöglich Rattenspeck, sagte sie wie zur Entschuldigung. Außerdem habe sie etwas gegen Sekten, Wunderheiler und Gauner, die das Volk betrogen. Die Botanomantie oder Kunst, anhand von Pflanzen die Zukunft vorherzusagen, halte sie für Schwindel. Gleichwohl wisse sie, worum es da ging, und habe einmal einem drittklassigen
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