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wegen Misshandlung stellte. Die Anzeige verlief im Sande, aber beide handelten sich eine Ermahnung des stellvertretenden und des leitenden Polizeichefs ein. Ein Bericht über ihr Fehlverhalten ging sogar an den Chef der Kriminalpolizei von Hermosillo. Zwei Wochen später erweiterte der Körper der Unbekannten die Leichensammlung der Medizinstudenten von Santa Teresa.
Manchmal wunderte sich Kommissar Juan de Dios Martínez, wie gut Elvira Campos im Bett war und wie unermüdlich. Sie vögelt, als ginge es um ihr Leben, dachte er. Er hätte ihr oft gern gesagt, dass das nicht nötig sei, dass sie sich nicht so verausgaben solle, dass er schon zufrieden sei, wenn er sie nur ganz nah spüren, sie berühren konnte, doch wenn es um Sex ging, war die Leiterin pragmatisch und effizient. Meine Königin, sagte Juan de Dios Martínez manchmal, mein Schatz, mein Engel, woraufhin sie ihm beschied, er solle den Mund halten, und ihn aussaugte bis auf den letzten Tropfen - seines Samens? seiner Seele? des bisschen Lebens, das ihm, wie er damals glaubte, noch blieb? Auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin schliefen sie im Dunkeln miteinander. Manchmal war er versucht, Licht zu machen und sie anzuschauen, aber der Wunsch, sie nicht zu verärgern, hielt ihn davon ab. Mach das Licht nicht an, sagte sie einmal, und er dachte, Elvira Campos könne seine Gedanken lesen.
Im November fanden Maurer im ersten Stock eines im Bau befindlichen Hauses den Leichnam einer etwa dreißigjährigen, eins fünfzig großen Frau mit dunklem Teint, blondgefärbten Haaren und zwei Goldkronen im Mund, bekleidet nur mit einem Sweater und Hot Pants bzw. Shorts bzw. kurzer Hose. Sie war vergewaltigt und erwürgt worden. Sie hatte keinerlei Papiere bei sich. Die Baustelle lag in der Calle Alondra in der Siedlung Podestá, einer besseren Gegend von Santa Teresa. Aus diesem Grund übernachteten die Arbeiter nicht auf der Baustelle, wie es anderswo üblich war. Nachts wurde das Gebäude von einem vereidigten Wachmann geschützt. Bei seiner Befragung gestand er, dass er entgegen seinem Vertrag nachts schlafe, da er tagsüber in einer Maquiladora arbeite, und dass er in manchen Nächten bis zwei Uhr morgens auf dem Bau bleibe und dann in sein Haus in der Avenida Cuauhtémoc in Höhe der Siedlung Damián heimkehre. Das Verhör wurde vom Adjutanten des Polizeichefs, Epifanio Galindo, nicht eben zimperlich geführt, aber vom ersten Moment an war klar, dass der Wachmann die Wahrheit sagte. Man nahm an, was nicht unlogisch schien, dass die Unbekannte gerade aus dem Süden gekommen war und dass irgendwo ein Koffer mit ihren Kleidern existieren musste. Man ermittelte deshalb in Pensionen und Hotels in der Innenstadt, aber nirgends war ein Hotelgast als vermisst gemeldet worden. Ihr Foto erschien in den Lokalzeitungen - ohne Resonanz: Entweder kannte sie niemand oder das Foto war zu schlecht oder niemand wollte in Probleme mit der Polizei verwickelt werden. Man überprüfte die aus anderen Landesteilen eingegangenen Vermisstenanzeigen, aber keine passte auf die Tote aus dem Neubau in der Calle Alondra. Nur eine Sache stand fest, zumindest für Epifanio: Die Tote stammte nicht aus dem Viertel, die Tote war nicht in dem Viertel vergewaltigt und erwürgt worden, warum also entledigte man sich des Leichnams in der besseren Gegend der Stadt, wo nachts in den Straßen Polizei und private Sicherheitskräfte gewissenhaft patrouillierten? Warum hatte man die Leiche dorthin geschafft, in den ersten Stock eines im Bau befindlichen Hauses, bei dem Risiko, das das bedeutete, einschließlich der Gefahr, die noch geländerlose Treppe hinunterzufallen, wo es logischer gewesen wäre, die Frau in der Wüste oder auf einer Müllkippe in der Umgebung verschwinden zu lassen? Zwei Tage lang dachte er darüber nach. Während er aß, während er seinen Kameraden zuhörte, die über Sport oder Frauen redeten, während er den Wagen von Pedro Negrete fuhr, während er schlief. Bis er zu dem Schluss kam, dass er keine befriedigende Lösung finden würde, egal wie lang er darüber nachdachte, und so hörte er damit auf.
Manchmal, vor allem an seinen freien Tagen, hatte Kommissar Juan de Dios Martínez Lust, mit der Leiterin spazieren zu gehen. Besser gesagt: Er hatte Lust, sich mit ihr in der Öffentlichkeit zu zeigen, mit ihr in der Innenstadt essen zu gehen, nicht zu billig, nicht zu teuer, in einem ganz normalen Restaurant, wohin ganz normale Paare gingen und wo er mit Sicherheit jemanden traf, den er
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