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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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angezeigt worden war. Er saß einen Monat in Haft, dann zog Laurie ihre Anzeige zurück, und man ließ ihn laufen. Des Weiteren gab es Anzeigen gegen ihn wegen Exhibitionismus und unschicklichen Verhaltens. Auf seine Frage, was zum Teufel die Gringos unter unschicklichem Verhalten verstünden, sagte man ihm, das beziehe sich im Wesentlichen auf unsittliche Berührungen und laute verbale Anzüglichkeiten sowie auf eine Kombination aus beidem. In Tampa war Haas auch mehrfach zu Geldbußen wegen Zuhälterei verurteilt worden, nichts Großes. Er war 1955 geboren, in Bielefeld, in der damaligen Bundesrepublik Deutschland, und 1980 in die Vereinigten Staaten emigriert. Im Jahr 1990, er besaß bereits einen US-amerikanischen Pass, entschloss er sich, das Land zu wechseln. In Mexiko zu leben, im Norden des Bundesstaates Sonora, war zweifellos eine glückliche Entscheidung, denn nach kurzer Zeit eröffnete er ein zweites Geschäft, in dem seine Kundenkartei stetig wuchs, und ein weiteres in Tijuana, das nicht schlecht zu laufen schien. Eines Nachts betrat Epifanio in Begleitung zweier Polizisten aus Santa Teresa Haas' Geschäft in der Innenstadt (das andere lag in der Siedlung Centeno). Der Laden war viel größer, als er gedacht hatte. Im hinteren Teil befanden sich mehrere Zimmer voller Kisten mit Einzelteilen, aus denen Haas später selbst Computer zusammenbaute. In einem jedoch standen ein Bett, ein Kerzenständer mit einer Kerze darin und neben dem Bett ein großer Spiegel. Das Licht funktionierte nicht, aber der Kriminalbeamte, der Epifanio begleitete, bemerkte sofort, dass es nur nicht funktionierte, weil jemand die Birne herausgeschraubt hatte. Es gab zwei Bäder. Das eine sehr reinlich, mit Seife, Klopapier und sauberem Boden. Neben dem Klo stand eine Klobürste, zu deren Benutzung Haas seine Angestellten verpflichtete, die es nur gewohnt waren, die Spülung zu ziehen. Das andere Bad war ebenso verdreckt wie verwahrlost, obwohl Wasser aus dem Hahn kam und die Klospülung funktionierte, und offenbar deswegen vorhanden, um ein asymmetrisches, unverständliches Phänomen zu illustrieren. Dann folgte ein langer Flur, der an einer Tür endete, die auf eine Seitenstraße führte. Die Straße bot ein breites Spektrum an Müll und Pappkartons, doch sah man von hier aus auf eine der hektischsten Kreuzungen der Stadt an und einer der nachts belebtesten Straßen von Santa Teresa. Anschließend gingen sie hinunter in den Keller.
    Zwei Tage später erschienen Epifanio, zwei Kommissare und drei örtliche Polizeibeamte im Laden, ausgestattet mit einem richterlichen Haftbefehl gegen den vierzigjährigen Klaus Haas, Bürger der Vereinigten Staaten, wegen des Verdachts auf Vergewaltigung, Misshandlung und Ermordung der siebzehn Jahre alten mexikanischen Staatsangehörigen Estrella Ruiz Sandoval, doch erfuhren sie von den Angestellten, dass der Chef heute nicht im Laden erschienen sei, woraufhin sich die Abordnung aufteilte, und während ein Kommissar und zwei der Polizisten zu der Filiale in der Siedlung Centeno fuhren, machten sich Epifanio, der andere Kommissar und der dritte Polizeibeamte auf den Weg zum Haus des Deutschamerikaners in der Siedlung Cerezal, wo sie sich strategisch verteilten, indem der Polizist die Hinterseite überwachte, während Epifanio und der Kommissar an der Tür klingelten, die ihnen zu ihrer Verwunderung Haas persönlich öffnete, dessen Gesicht deutlich verriet, dass er sich in der heißen Phase einer Erkältung oder Grippe befand, jedenfalls alle Anzeichen einer schlecht verbrachten Nacht zeigte. Ohne auf seine Einladung, einzutreten, einzugehen, wurde Haas unverzüglich davon in Kenntnis gesetzt, dass er ab sofort verhaftet sei, wobei man ihm den Haftbefehl zeigte und ihn einen flüchtigen Blick auf den Durchsuchungsbefehl werfen ließ, der auf seine Wohnung und die beiden Geschäfte lautete. Im nächsten Moment legte man ihm Handschellen an, da der Verhaftete ein großer, schwerer Mann war und keiner wusste, wie er sich verhalten würde, wenn er seine Lage realisiert hatte. Dann schob man ihn auf die Rückbank des Streifenwagens und fuhr auf direktem Wege zum Ersten Kommissariat; einen Polizeibeamten ließ man zur Bewachung der Wohnung des Verhafteten zurück.
    Das Verhör von Klaus Haas dauerte vier Tage. Es wurde durchgeführt von den Polizisten Epifanio Galindo und Tony Pintado sowie den Kriminalbeamten Ernesto Ortiz Rebolledo, Ángel Fernandez und Carlos Marín. Dem Verhör wohnte auch Pedro Negrete

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