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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Stunden beiwohnen können, aber Epifanio sagte, er müsse gehen, jeden Moment würden der Chef und andere wichtige Leute auftauchen, und man wolle die Angelegenheit nicht zu einer Jahrmarktsattraktion verkommen lassen.
    Im Gefängnis von Santa Teresa steckte man Haas, solange er noch hohes Fieber hatte, in eine Einzelzelle. Davon gab es insgesamt nur vier. In einer davon saß ein Drogenhändler, der wegen Mordes an zwei US-amerikanischen Polizisten angeklagt war, in der zweiten ein wegen Betrugs inhaftierter Wirtschaftsanwalt, in der dritten die beiden Leibwächter des Drogenhändlers und in der vierten ein Landwirt aus El Alamillo, der seine Frau erwürgt und seine beiden Kinder erschossen hatte. Um Haas unterzubringen, steckte man die beiden Leibwächter zu fünf Häftlingen in eine Zelle im Trakt drei. In den Einzelzellen gab es nur ein einziges, am Boden festgeschraubtes Bett, und als Haas in seinem neuen Domizil eintraf, erkannte er am Geruch, dass hier zwei Personen gehaust hatten, einer, der auf dem Bett, und einer, der im Schlafsack auf dem Boden geschlafen hatte. In seiner ersten Nacht im Gefängnis vermochte er kaum ein Auge zuzumachen. Er tigerte durch die Zelle und schlug sich ab und zu mit der flachen Hand auf die Arme. Der Landwirt, der einen leichten Schlaf hatte, rief, er solle nicht so einen Krach machen und sich hinlegen. Haas fragte in die Dunkelheit, wer da mit ihm gesprochen habe. Der Landwirt antwortete nicht, und für eine Minute verhielt sich Haas ganz still und wartete darauf, dass jemand etwas sagte. Als klar war, dass ihm niemand antworten würde, setzte er seine Runden fort und klatschte sich wieder ab und zu auf die Arme, als schlüge er Mücken tot, bis der Landwirt wieder rief, er solle nicht so einen Lärm machen. Diesmal blieb Haas nicht stehen und fragte auch nicht, wer sprach. Die Nacht ist zum Schlafen da, scheiß Gringo, hörte er den Landwirt sagen. Dann hörte er, wie er sich im Bett umdrehte, und stellte sich vor, dass der Typ den Kopf unters Kissen steckte, was er mit einem Heiterkeitsausbruch quittierte. Steck den Kopf nicht unters Kissen, sagte er mit lauter, wohlklingender Stimme, du stirbst sowieso. Und wer soll mich umbringen, verfluchter Gringo, du etwa? Ich nicht, du Bastard, sagte Haas, ein Riese wird kommen, und der Riese wird dich töten. Ein Riese?, sagte der Landwirt. Du hast richtig gehört, du Bastard, sagte Haas. Ein Riese. Ein sehr, sehr großer Mann, und er wird dich und alle hier töten. Du spinnst ja, scheiß Gringo, sagte der Landwirt. Eine Zeitlang sagte niemand etwas, und der Landwirt schien wieder einzuschlafen. Nach einer Weile aber sagte Haas, er höre seine Schritte. Der Riese sei schon unterwegs. Es sei ein Riese, blutüberströmt von Kopf bis Fuß, und er sei bereits auf dem Weg hierher. Der Anwalt wachte auf und fragte, wovon sie sprächen. Seine Stimme klang sanft, verschlagen und verschreckt. Unser Kumpel hier hat den Verstand verloren, sagte der Landwirt.
    Als Epifanio Haas besuchen kam, berichtete ihm einer der Wärter, dass der Gringo die anderen Gefangenen nicht schlafen lasse. Er erzähle etwas von einem Ungeheuer und mache nachts kein Auge zu. Epifanio wollte wissen, von was für einem Ungeheuer der Gringo spreche, und der Wärter sagte, er spreche von einem Riesen, wahrscheinlich einem Freund von ihm, der kommen würde, um ihn zu retten und alle, die ihn fertig gemacht hätten, umzubringen. Weil er nicht schlafen kann, hat er keinen Respekt vor dem Schlaf der anderen, sagte der Wärter, vor Mexikanern hat er übrigens auch keinen, er nennt sie Rothäute oder Schmierlappen. Warum Schmierlappen?, wollte Epifanio wissen, und der Wärter antwortete mit ernster Stimme, dass Haas behaupte, Mexikaner würden sich nicht waschen und nicht baden. Er fügte hinzu, Haas behaupte, Mexikaner besäßen eine Drüse, die eine Art öligen Schweiß absondere, ungefähr wie bei den Negern, die, behaupte Haas, eine Drüse besäßen, die einen besonderen, unverwechselbaren Geruch absondere. In Wirklichkeit war der Einzige, der nicht badete, Haas, den die Gefängnisbeamten so lange nicht unter die Dusche lassen wollten, wie sie dazu keinen Befehl vom Untersuchungsrichter oder Gefängnisdirektor erhalten hatten, der die Angelegenheit offensichtlich wie ein rohes Ei behandelte. Als Epifanio Haas gegenüberstand, erkannte dieser ihn nicht. Er hatte tiefe Ringe unter den Augen und wirkte sehr viel dünner als bei ihrer letzten Begegnung, doch war ihm keine der

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