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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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während des Verhörs entstandenen Wunden anzusehen. Epifanio bot ihm eine Zigarette an, aber Haas sagte, er rauche nicht. Dann erzählte Epifanio ihm vom Gefängnis von Hermosillo, einem Neubau mit geräumigen Unterkünften, riesigen Innenhöfen und Sportanlagen. Wenn er ein Geständnis ablege, sagte er, werde er sich dafür einsetzen, dass man ihn dorthin verlege, er werde eine Zelle für sich allein bekommen, jedoch eine viel bessere als die hier. Da erst sah Haas ihm direkt ins Gesicht und sagte, hören Sie auf mit dem Schwachsinn. Epifanio sah, dass Haas ihn wiedererkannte, und lächelte. Haas erwiderte das Lächeln nicht. Sein Gesicht, dachte Epifanio, ist merkwürdig, irgendwie entrüstet. Moralisch entrüstet. Er fragte nach dem Ungeheuer, dem Riesen, fragte, ob er selbst dieser Riese sei, und da endlich lachte Haas. Ich? Sie haben keine Ahnung, stieß er hervor. Verpissen Sie sich ins Dreckloch Ihrer Mutter.
    Die Insassen der Einzelzellen konnten mit allen hinaus in den Hof des Gefängnistrakts oder tagsüber eingeschlossen bleiben und dann nur ganz früh nach draußen, von halb sieben bis halb acht, wenn der Hof für alle anderen Häftlinge gesperrt war, oder nach einundzwanzig Uhr, wenn theoretisch der Abendappell erfolgt war und die Häftlinge wieder in ihren Zellen saßen. Der Familienmörder und der Wirtschaftsanwalt gingen nur abends nach dem Essen hinaus. Sie schlenderten durch den Hof, unterhielten sich über Geschäfte und Politik und kehrten in ihre Zellen zurück. Der Drogenhändler verbrachte seine Hofaufenthalte zusammen mit den übrigen Häftlingen, und er konnte stundenlang an einer Wand lehnen, rauchen und in den Himmel schauen, während seine Leibwächter, nie weit entfernt, mit ihrer Anwesenheit einen unsichtbaren Kreis um ihren Chef zogen. Als das Fieber nachließ, beschloss Klaus Haas, zu den »normalen Hofzeiten« hinauszugehen, wie er dem Wärter erklärte. Auf dessen Frage, ob er nicht Angst habe, im Hof umgebracht zu werden, machte Haas eine wegwerfende Handbewegung und erwähnte die leichenblassen Gesichter des Landwirts und des Anwalts, die nie ein Sonnenstrahl traf. Bei seinem ersten Hofgang fragte der Drogenhändler, der sich bis dahin nicht für ihn interessiert hatte, wer er sei. Haas nannte seinen Namen und stellte sich als Computerexperte vor. Der Drogenhändler maß ihn von oben bis unten und setzte seinen Weg fort, als hätte sich seine Neugier auf einen Schlag erledigt. Einige wenige Häftlinge trugen die geflickten Reste von etwas, das einmal die Anstaltskleidung gewesen war, die meisten jedoch trugen, wozu sie Lust hatten. Einige verkauften kalte Getränke, die sie in Kühlboxen aufbewahrten, Plastikkisten, die sie über einer Schulter trugen und nicht weit von der Stelle absetzten, wo in Teams zu je vier Mann Fußball oder Basketball gespielt wurde. Andere verkauften Zigaretten und pornographische Fotos. Die Gewitzteren vertrieben Drogen. Der Hof hatte die Form eines großen V, der Boden war zur Hälfte betoniert, die andere Hälfte war bloße Erde, und seitlich wurde er von zwei Mauern mit Wachtürmen begrenzt, aus denen gelangweilte, Marihuana rauchende Wachtposten schauten. In der Spitze des V öffneten sich rechts und links Zellenfenster, an deren Gitterstäben Wäsche zum Trocknen hing. An der offenen Seite befand sich ein etwa zehn Meter hoher Zaun, hinter dem ein befestigter Weg verlief, der zu anderen Gefängnisgebäuden führte, und noch ein Stück dahinter erhob sich ein zweiter Zaun, der niedriger, aber von einer Stacheldrahtmähne gekrönt war und aussah, als sei er aus dem Wüstenboden emporgewachsen. Bei seinem ersten Hofgang kam es Haas ein paar Minuten lang vor, als würde er durch den Park einer fremden Stadt spazieren, wo ihn niemand kannte. Für einen Augenblick fühlte er sich frei. Aber hier wussten alle alles, sagte er sich und wartete geduldig, bis sich ihm der erste Gefangene näherte. Nach einer Stunde wurden ihm Drogen und Zigaretten angeboten, er kaufte aber nur etwas zu trinken. Während er trank und bei einem Basketballspiel zuschaute, näherten sich ihm einige Häftlinge und fragten, ob es stimme, dass er all die Frauen ermordet habe. Haas verneinte. Dann fragten die Gefangenen nach seiner Arbeit und ob man mit Computern Kohle machen könne. Haas sagte, das hänge sehr vom Glück ab. Und als Unternehmer könne man das nie mit Sicherheit sagen. Dann sei er also Unternehmer, fragten die Häftlinge. Nein, sagte Haas, ich bin ein

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