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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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fühlten die gleiche Liebe zu ihr jetzt, da Liz sie im Ungewissen hielt, wie früher, als sie ihre amtierenden Liebhaber oder Co-Liebhaber waren, und wie sie sie auch dann noch empfinden würden, wenn sie sich für einen entschiede, oder auch dann, wenn sie sich, so das ihr Wille war, für keinen entschiede (dieses Dann wäre freilich das leidvollere, aber geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid). Worauf Norton mit einer Frage antwortete, die durchaus rhetorische Züge besaß, aber letztlich doch eine plausible Frage war: Was wäre, wenn einer, Pelletier zum Beispiel, sich plötzlich, da sie noch Gänseblümchenblätter zupfte, in eine Studentin verliebte, die viel jünger und schöner, außerdem viel reicher und charmanter war als sie? Musste sie dann die Abmachung für gebrochen ansehen und gleich auch Espinoza zum Teufel jagen? Oder im Gegenteil den Spanier behalten, weil nur er noch zur Verfügung stand? Pelletier und Espinoza erwiderten, die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Fall eintreten werde, sei verschwindend gering, und sie könne, Beispiel hin oder her, tun, wozu sie Lust habe, auch ins Kloster gehen, wenn sie das wünsche.
    »Jeder von uns möchte dich heiraten, mit dir leben, Kinder von dir haben und mit dir alt werden, aber jetzt, in diesem Moment unseres Lebens, wollen wir nur eins: Uns deine Freundschaft bewahren.«
    Von diesem Abend an wurden die Flüge nach London wieder aufgenommen. Mal kam Espinoza, mal Pelletier, und hin und wieder kamen alle beide. War das der Fall, so quartierten sie sich für gewöhnlich in immer demselben Hotel ein, einem kleinen, ungemütlichen Hotel in der Foley Street in der Nähe des Middlesex Hospital. Wenn sie von Norton zurückkamen, unternahmen sie manchmal noch einen Spaziergang durch die Umgebung des Hotels, in der Regel schweigend, frustriert und in gewisser Weise ermattet von der Sympathie und dem Charme, den sie sich während ihrer gemeinsamen Besuche an den Tag zu legen zwangen. Nicht selten verharrten sie still neben der Laterne an der Ecke und beobachteten die Krankenwagen, die im Middlesex Hospital ankamen oder es verließen. Die englischen Krankenpfleger sprachen im Brüllton miteinander, dennoch drangen ihre Stimmen nur gedämpft an ihr Ohr.
    Eines Nachts, als sie die ungewöhnlich leere Zufahrt des Krankenhauses betrachteten, fragten sie sich, warum bei ihren gemeinsamen Besuchen in London keiner von ihnen in Liz' Wohnung übernachtete. Aus Höflichkeit wahrscheinlich, sagten sie. Aber keiner von beiden glaubte an diese Art von Höflichkeit. Und sie fragten sich auch, zögerlich zunächst, dann vehement, warum sie nicht zu dritt miteinander ins Bett gingen. In dieser Nacht fiel ein mattes grünes Licht aus den Türen des Krankenhauses, ein helles Schwimmbeckengrün, und ein Pfleger stand rauchend mitten auf dem Gehsteig, und bei einem der geparkten Autos brannte das Scheinwerferlicht, ein gelbes Licht wie eine Honigwabe, aber nicht eine gewöhnliche Honigwabe, sondern eine radioaktive Nachkriegswabe, eine, in der nicht mehr die Gewissheiten, sondern die Kälte, die Niedergeschlagenheit und die Lethargie Unterschlupf fanden.
    Eines Abends, während eines Telefonats zwischen Paris oder Madrid und London, brachte einer der beiden das Thema aufs Tapet. Zur großen Überraschung sagte Norton, auch sie habe schon seit längerem diese Möglichkeit erwogen.
    »Ich glaube nicht, dass wir dir jemals einen solchen Vorschlag unterbreiten werden«, sagte der am anderen Ende.
    »Ich weiß«, sagte Norton. »Der Gedanke macht euch Angst. Ihr hofft, dass ich den ersten Schritt tue.«
    »Ich weiß nicht«, sagte der am anderen Ende, »ganz so einfach verhält es sich wohl nicht.«
    Ein paarmal trafen sie auch Pritchard wieder. Der schlaksige junge Mann zeigte sich nicht mehr so übellaunig wie damals, allerdings waren die Begegnungen auch rein zufällig und ließen für Beleidigungen und Tätlichkeiten keine Zeit. So traf Espinoza bei Norton ein, als Pritchard gerade ging, Pelletier begegnete ihm einmal im Treppenhaus. Dies übrigens eine kurze, aber bedeutungsschwere Begegnung. Pelletier grüßte Pritchard, Pritchard grüßte Pelletier, und als beide einander bereits den Rücken zugewandt hatten, drehte Pritchard sich noch einmal um und rief Pelletier mit einem Pfiff zurück.
    »Soll ich dir einen Rat geben«, sagte er. Pelletier sah ihn erschrocken an. »Ich weiß, du willst ihn nicht, Alter, aber ich gebe ihn dir trotzdem. Nimm dich in Acht«, sagte

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