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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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der zwischen ihnen eingetretenen Entfremdung.
    Am Symposium nahmen nur Espinoza und Morini teil, bemüht, sich nicht zu langweilen, und da sie schon einmal in Hamburg waren, machten sie einen Abstecher zum Bubis Verlag und sagten Herrn Schnell guten Tag, bekamen aber Frau Bubis, für die sie einen Strauß Rosen gekauft hatten, nicht zu Gesicht, da sie sich auf einer Moskaureise befand. Diese Frau, sagte Schnell, ich weiß nicht, woher sie die Energie nimmt, und dann brach er in ein zufriedenes Lachen aus, das Espinoza und Morini übertrieben fanden. Bevor sie den Verlag verließen, schenkten sie Schnell die Rosen.
    An der Konferenz nahmen nur Espinoza und Pelletier teil, und diesmal mussten sie einander wohl oder übel die Stirn bieten und die Karten auf den Tisch legen. Anfangs versuchten natürlich beide, sich meist höflich, in einigen Fällen auch etwas unvermittelt aus dem Weg zu gehen, aber am Ende blieb ihnen nichts anderes übrig, als miteinander zu reden. Das geschah spätnachts in der Bar ihres Hotels, wo nur noch ein Kellner, der jüngste von allen, die Stellung hielt, ein langer, blonder, schläfriger Bursche.
    Pelletier saß an einem Ende des Tresens, Espinoza am anderen. Dann begann die Bar sich nach und nach zu leeren, und als nur noch die beiden übrig waren, stand der Franzose auf und setzte sich neben den Spanier. Sie versuchten, sich über die Konferenz zu unterhalten, aber ziemlich bald wurde ihnen klar, wie lächerlich das war, wenn sie allen Ernstes oder zum Schein so weitermachten. Wieder war es Pelletier, versierter in der Kunst der Annäherung und Vertraulichkeit, der den ersten Schritt tat. Er erkundigte sich nach Norton. Espinoza bekannte, dass er keine Ahnung habe. Manchmal rufe er sie an, sagte er dann, und das sei so, als redete er mit einer Fremden. Letzteres hatte Pelletier erschlossen, da Espinoza, der sich zuweilen reichlich elliptisch ausdrückte, nicht Norton als Fremde bezeichnet hatte, sondern nur das Wort beschäftigt und dann das Wort abwesend einflocht. Das Telefon in Nortons Wohnung begleitete eine Weile lang ihre Unterhaltung. Ein weißes Telefon, gehalten von der weißen Hand, dem weißen Unterarm einer Fremden. Aber sie war keine Fremde. In dem Maße nicht, als beide mit ihr geschlafen hatten. O weiße Hirschkuh, süße Hirschkuh, Hirschkuh weiße, murmelte Espinoza. Pelletier nahm an, dass er einen Klassiker zitierte, sagte aber nichts, sondern fragte, ob sie nun endgültig Feinde würden. Die Frage schien Espinoza zu überraschen, als hätte er nie an diese Möglichkeit gedacht.
    »Das ist absurd, Jean-Claude«, sagte er; allerdings fiel Pelletier auf, dass er lange nachdachte, bevor er antwortete.
    Sie beendeten die Nacht betrunken, und der junge Kellner musste ihnen beim Verlassen der Bar behilflich sein. Von jener Nacht blieb Pelletier vor allem die Kraft des Kellners im Gedächtnis, der sie, einen in jedem Arm, zu den Aufzügen in der Lobby schleppte, als wären Espinoza und er fünfzehnjährige Jungs, zwei schmächtige Jungs, gepackt von den starken Armen des jungen deutschen Kellners, der bis zuletzt ausgeharrt hatte, während alle seine älteren Kollegen schon nach Hause gegangen waren, seinem Gesicht und seiner Statur nach zu urteilen ein Bursche vom Land oder ein Arbeiter, außerdem erinnerte er sich an ein leises Surren, von dem sich herausstellte, dass es eine Art Lachen war, Espinozas Lachen, mit dem er am Arm des bäurischen Kellners hing, ein ganz leises Lachen, ein diskretes Lachen, als wäre die Situation nicht nur lächerlich, sondern auch ein Ventil für seinen uneingestandenen Kummer.
    Eines Tages, nachdem bereits drei Monate ohne Besuch bei Norton vergangen waren, rief der eine den anderen an und schlug ein Wochenende in London vor. Es ist ungewiss, ob Pelletier der Anrufer war oder Espinoza. Theoretisch hätte der Anruf von demjenigen kommen müssen, der den ausgeprägteren Sinn für Treue oder den ausgeprägteren Sinn für Freundschaft hatte, was im Prinzip dasselbe ist, aber die Wahrheit ist, dass weder Pelletier noch Espinoza einen großen Begriff von besagter Tugend hatten. Verbal bekannten sie sich natürlich zu ihr, wenn auch mit Einschränkungen. Praktisch dagegen glaubte keiner von beiden an Freundschaft oder Treue. Sie glaubten an die Leidenschaft, glaubten an ein Hybrid von gesellschaftlichem oder öffentlichem Glück - beide wählten links, zuweilen auch gar nicht -, glaubten an die Möglichkeit der Selbstverwirklichung.
    Tatsache ist,

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