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sich Töpfe mit Blumen und Grünpflanzen drängten. Rebeca sagte ihrem Bruder, er solle draußen bleiben und auf das Auto aufpassen. Das Haus war aus Holz, und bei jedem Schritt machten die Bodenbretter ein dumpfes Geräusch, als flösse darunter ein Abwasserkanal oder als gäbe es dort ein geheimes Zimmer.
Die Mutter begrüßte Espinoza unerwartet freundlich und bot ihm etwas zu trinken an. Dann stellte sie selbst ihm ihre übrigen Kinder vor. Rebeca hatte zwei Brüder und drei Schwestern, wobei die älteste nicht mehr bei ihnen wohnte, da sie geheiratet hatte. Eine der Schwestern glich Rebeca fast aufs Haar, bloß dass sie jünger war. Sie hieß Cristina, und alle im Haus sagten, sie sei die Intelligenteste der Familie. Nach einer gebührenden Zeit bat er Rebeca, doch mit ihm eine Runde um den Block zu drehen. Beim Hinausgehen sahen sie den Jungen oben auf dem Dach des Wagens liegen. Er las einen Comic und hatte etwas im Mund, wahrscheinlich ein Bonbon. Als sie von ihrem Spaziergang zurückkamen, saß der Junge immer noch auf dem Auto, las aber nicht mehr, und das Bonbon war aufgegessen.
Bei seiner Rückkehr ins Hotel hatte Pelletier wieder den Heiligen Thomas auf dem Schoß. Als er sich neben ihn setzte, sah Pelletier von seinem Buch auf und sagte, es gebe Dinge, die er immer noch nicht verstehe und wahrscheinlich nie verstehen werde. Espinoza brach in schallendes Gelächter aus und sagte nichts.
»Amalfitano hat mich heute besucht«, sagte Pelletier.
Seines Erachtens war der chilenische Professor mit den Nerven am Ende. Pelletier hatte vorgeschlagen, gemeinsam eine Runde zu schwimmen. Da Amalfitano keine Badehose hatte, besorgten sie ihm eine an der Rezeption. Alles schien gut zu laufen. Aber als er ins Schwimmbecken stieg, erstarrte Amalfitano, als hätte er plötzlich den Leibhaftigen gesehen, und ging unter. Pelletier erinnerte sich, dass er sich mit beiden Händen den Mund zugehalten hatte. Er unternahm jedenfalls nicht den geringsten Versuch zu schwimmen. Zum Glück war Pelletier da, und es kostete ihn keine große Mühe, zu tauchen und ihn wieder an die Oberfläche zu bringen. Nachher tranken beide einen Whisky, und Amalfitano erklärte, dass er seit Ewigkeiten nicht mehr geschwommen sei.
»Wir haben über Archimboldi geredet«, sagte Pelletier.
Dann hatte er sich wieder angezogen, hatte die Badehose zurückgegeben und war gegangen.
»Und was hast du gemacht?«, sagte Espinoza.
»Ich habe geduscht, mich angezogen, etwas gegessen und meine Lektüre fortgesetzt.«
»Einen Augenblick lang«, schrieb Norton in ihrem Brief, »fühlte ich mich wie eine Obdachlose, die geblendet ist von den Lichtern eines plötzlichen Theaters. Ich war nicht eben in der besten Verfassung für einen Galeriebesuch, aber der Name Edwin Johns zog mich magisch an. Ich näherte mich der gläsernen Eingangstür der Galerie und sah drinnen viele Menschen, sah weißgekleidete Kellner, die sich, Tabletts mit Sekt- und Rotweingläsern balancierend, kaum drehen und wenden konnten. Ich beschloss zu warten und wechselte wieder auf die andere Straßenseite. Nach und nach leerte sich die Galerie, und irgendwann dachte ich, jetzt könnte ich hineingehen und wenigstens einen Teil der Retrospektive sehen.
Als ich den Fuß über die Schwelle setzte, hatte ich ein seltsames Gefühl, als würde alles, was ich von diesem Augenblick an sah oder spürte, für mein ganzes weiteres Leben entscheidend sein. Ich blieb vor einer Art Landschaft stehen, einer Landschaft in Surrey, aus Johns' erster Periode, die mir schwermütig und zugleich sanft erschien, tief und irgendwie hochtrabend, wie es nur von englischen Malern gemalte englische Landschaften sein können. Plötzlich dachte ich, dass ich mit diesem Gemälde eigentlich schon genug hatte, und wollte wieder gehen, als ein Kellner, vielleicht der letzte noch verbliebene Kellner der Catering-Firma, mit einem einzigen Glas Wein auf dem Tablett auf mich zukam, speziell für mich eingeschenkt. Er sagte nichts. Er hielt es mir nur hin, und ich lächelte ihn an und nahm das Glas. Dann fiel mein Blick auf das Ausstellungsplakat am anderen Ende des Raums, das Poster, auf dem das Gemälde mit abgeschnittener Hand abgebildet war, Johns' Meisterstück, und darunter in weißen Zahlen sein Geburts- und Sterbedatum.
Ich wusste nicht, dass er tot war«, sagte Norton in ihrem Brief, »ich glaubte, er würde noch in der Schweiz leben, in einer komfortablen Irrenanstalt, in der er sich über sich selbst und vor
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