27 - Im Lande des Mahdi I
Haïks, natürlich um den Inhalt derselben zu untersuchen. Ich tat, als ob ich das nicht bemerkte, und erteilte ihm irgendeinen kleinen Auftrag, infolgedessen er sich zu entfernen hatte.
Wie wohlbegründet waren meine Befürchtungen gewesen! Nun fragte es sich, welchen Auftrag dieser Mann von Abd el Barak empfangen hatte. Mich zu ermorden? Wohl möglich, aber ganz so Schlimmes wollte ich doch nicht vermuten. Wahrscheinlicher war es, daß seine Aufgabe darin bestand, mir die Unterschriften zu entwenden. Vielleicht hatte er soeben in der Haïktasche nach ihnen gesucht. Aber sei dem, wie ihm wolle, ich befand mich in keiner angenehmen Lage und hätte lieber, wenn dies möglich gewesen wäre, die Dahabiëh sofort verlassen. Dies konnte später leicht geschehen, denn diese Schiffe legen des Abends fast regelmäßig am Ufer an, und es stand wohl nicht zu befürchten, daß es mir schon heute an den Kragen gehen sollte. Ich gab zunächst alles Grübeln auf und machte mich an die Einrichtung meiner kleinen, schwimmenden Häuslichkeit. Man reist mit dem Nilboot sehr langsam, und ich hatte mich also auf eine Reihe von Tagen einzurichten. Da galt es vor allen Dingen, mein Eigentum, besonders die mitgenommenen Lebensmittel, vor den Ratten zu schützen, welche eine wahre Plage auf diesen Booten sind. Dabei kam mir auch ein Paket Rauchtabak in die Hände. Ich öffnete dasselbe und fand ein zusammengelegtes Papier obenauf liegen, auf welchem geschrieben stand: Ihr Reisegeld bis Siut. Das Papier war schwer, als ich es auseinandergeschlagen hatte, blinkten mir zwanzig Souvereigns entgegen. Das waren nach türkischer Ausdruckweise zwanzig Inglis liraszy, über vierhundert Mark nach deutschem Geld. Mein dicker Murad Nassyr war gar kein übler Türke. Leider hatten wir in Beziehung auf den Glauben sehr verschiedene Meinung; aber in Hinsicht auf Geldangelegenheiten schien zwischen uns die erfreulichste Harmonie zu bestehen. Nur fragte es sich, zu welcher Art von Diensten er mich dadurch verpflichten wollte. Es bestand noch immer eine leise Ahnung in mir, daß seine Geschäfte doch nicht ganz von derjenigen Gattung seien, zu welcher ich mich bedenkenlos verstehen durfte. Über sein sonst so ehrliches Gesicht war zuweilen ein Zug gegangen, wie man ihn nur bei Personen bemerkt, denen jeder Weg recht ist, falls er sie nur zum Ziele führt. Sein Verhalten zu mir war ganz gewiß auch mit die Folge eines gewissen Wohlwollens; das gab ich gerne zu; der eigentliche Grund desselben lag aber sicher in einer selbstsüchtigen Berechnung, die ich ihm freilich nicht übelnehmen konnte, da wir Menschen ja alle mehr oder weniger Egoisten sind, wie jeder Aufrichtige gestehen wird.
Ich baute, um die Ratten abzuhalten, von den Flaschen eine Unterlage, auf welche sämtliche Effekten und Vorräte zu liegen kamen. Dabei halfen mir meine beiden Neger, und es stellte sich bei dieser Gelegenheit heraus, daß sie recht geschickt waren und ein gutes Fassungsvermögen besaßen. Freilich hätte ich mir diese Arbeit ersparen können, aber ich ahnte nicht, daß mein Aufenthalt auf der Dahabiëh nicht einmal einen Tag währen werde.
Wie in dieser Jahreszeit fast immer, herrschte Nordwind, und das Segelboot machte eine ziemlich schnelle Fahrt, bis die Sonne im Westen verschwand und das Mogreb (Abendgebet) gebetet wurde. Dann aber ließ der Raïs halbe Luft nehmen; die Dahabiëh ging langsamer, und ich sah, daß das Steuer nach dem linken Ufer des Stromes gelegt wurde. Ich ging infolgedessen zum Raïs und fragte ihn nach der Ursache dieses Manövers.
„Wir legen in Gizeh an“, antwortete er mir.
„Aber warum das? Unsere Fahrt hat ja eben erst begonnen. Aus welchem Grund soll sie schon unterbrochen werden? Es ist ja noch nicht finster, und bald werden die Sterne erscheinen, bei deren Licht wir recht gut noch bis Atar en Nebi und Der et Tin oder gar bis Menil Schiba und Der Ibn Sufgan segeln können!“
„Woher kennst du diese Orte?“ fragte er verwundert. „Wer hat dir von ihnen erzählt?“
Es lag in meinem Interesse, ihn wissen zu lassen, daß ich nicht so unerfahren sei, wie er vielleicht denken mochte; darum antwortete ich ihm:
„Hast du mich für einen Neuling gehalten? Ich bin nicht zum erstenmal hier und habe schon die Katarakte befahren.“
„Dann wirst du wissen, daß jedes Schiff bei hereinbrechender Dunkelheit ans Ufer gelegt wird.“
„Bei wirklicher Dunkelheit, ja. Aber es ist noch nicht Nacht und wird heute überhaupt nicht dunkel werden, da
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