272 - Dieser Hunger nach Leben
blutrünstigen Soldaten entgegenstellte, verhinderte ich den einen oder anderen Mord. Doch schließlich musste ich klein beigeben und Abbitte leisten, weil ich, der Indiofreund, sonst ermordet oder doch von dem Genueser in Ketten geschlagen worden wäre. So aber wurde mir großzügig verziehen.
In der Folge zog ich mit Bartolomeo Colón und Hunderten Soldaten in das Landesinnere, um mehrere Forts zu errichten. Sie besaßen den Zweck, von dort aus nach den sagenhaften Goldvorkommen der Kaziken zu suchen - sowie Strafexpeditionen gegen jene Indios zu unternehmen, die die von Cristóbal Colón jährlich von jedem männlichen Taino geforderte Schelle Gold nicht ablieferten. Diese absurde Forderung wurde tatsächlich nur von dem Kaziken Guarionex erfüllt und so nutzten die Conquistadores die Situation, die sie als »Vertragsbruch« ansahen, für zahlreiche Strafexpeditionen aus.
Anno Domini 1495 erreichten wir mit zweihundert Mann das Tal von La Vega, wo es zur Schlacht gegen eine an Zahl zehnfach überlegene Armee von Indios kam. Aber es war wie immer. Die hohe Überlegenheit an Kriegern machte es den Taino schwer, die Gefährlichkeit und hohe Disziplin unserer Soldaten richtig einzuschätzen und die Überlegenheit der europäischen Waffen sowie auch die im taktisch-strategischen Eroberungskampf zu erkennen. Zumal sie Pferde nach wie vor als Ungeheuer ansehen und die Kampfkraft unserer großen Hunde sie überrascht, denn sie kennen nur viel kleinere Rassen. Auch ihr heidnischer Glaube erlegt ihnen zu viele Hindernisse auf, denn sie sehen in jedem Naturereignis schreckliche Vorzeichen ihrer Götter und richten sich danach. So brechen sie deswegen auch schon einmal einen Kampf ab oder verharren plötzlich in lähmender Starre, die es ihren Gegnern noch leichter macht, sie zu besiegen.
Wie beschrieben geschah es auch hier. Während des Zusammenpralls auf einer grasbewachsenen Ebene innerhalb des weiten Tals brachen plötzlich Sonnenstrahlen durch die dunklen, aufreißenden Regenwolken. Wie ein strahlender Lichtkranz fielen sie zur Erde und ließen alle Kämpfer kurz innehalten. Während die Taino ihre Keulen und Obsidianschwerter sinken ließen, sahen alle Christen in der Wolkenformation, aus der die Strahlen fielen, die Umrisse der Heiligen Jungfrau Maria. Auch ich bin mir sicher, dass uns damals die Jungfrau erschienen ist, um uns zum Sieg zu geleiten, und so jubelten alle Spanier lauthals, um danach noch verbissener und tapferer zu kämpfen.
Da ich mich, von der Jungfrau Maria beseelt, erneut gegen das Morden Verwundeter stellte, wurde ich von den eigenen Leuten vertrieben. Nach einigen Stunden in der Wildnis sah ich mich plötzlich Taino-Kriegern gegenüber, die mich töten wollten. Doch einer erkannte mich als den, der seinen Brüdern und Schwestern Beistand geleistet hatte und deswegen vertrieben worden war. So geleiteten sie mich in ihr Dorf. Es war der Stamm der Maguá, geführt vom Kaziken Guarocuya. Er nahm mich auf, nachdem er alles erfahren hatte, nährte und tränkte mich.
So geschah es, dass ich gleich am ersten Tag meines Aufenthalts bei den Maguá Guarocuyas Tochter Higuemota kennenlernte. Sie war jung und schön an Gestalt und erinnerte mich in vielem an Mencia. Higuemota bemalte sich nach Art ihres Volkes den fast nackten Körper mit roten und schwarzen Farbstoffen, die die Taino aus Früchten, Erde und Asche gewinnen, sie trug die Federn verschiedener Vögel im langen schwarzen Haar, Halsketten und Ohrschmuck aus Muscheln und immer vier oder fünf Ziergürtel gleichzeitig um ihre schlanken, anmutigen Hüften.
Das Mädchen war das weitaus schönste in dem doch sehr großen Dorf. Wenn Higuemota mich anlächelte und der Schalk in ihren Augen blitzte, ging in meinem Innern die Sonne auf und ich beschloss, sie für den wahren Glauben zu gewinnen und ein gutes Kind Gottes aus ihr zu machen.
Der Häuptling begrüßte meine diesbezüglichen Bemühungen nicht nur, er bestand sogar darauf, dass ich seine Tochter zur Frau nahm. Dadurch erhoffte er sich ein umfangreicheres Wissen über die Spanier und ihre Kultur. Ich tat, wie mir geheißen wurde. Denn eine Eheschließung, die nicht nach dem christlichen Ritus erfolgt, kann niemals gültig sein. Sie ermöglichte es mir aber doch, nun ganz ungestört Higuemota zur Christin bekehren zu können.
Ich erzählte ihr zudem viel über unseren Glauben, über unseren Herrn Jesus Christus und seinen Tod am Kreuz, öffnete aber meine Ohren auch für das, was sie mir
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