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272 - Dieser Hunger nach Leben

272 - Dieser Hunger nach Leben

Titel: 272 - Dieser Hunger nach Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Schwarz
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Stocken, während die Arkebusiere bereits geladene Waffen von den hinter ihnen stehenden Ladeschützen entgegennahmen und wiederum feuerten.
    Die Maguá hatten zu diesem Zeitpunkt fast hundert Tote zu beklagen, während noch nicht ein einziger Spanier gefallen war. Nach der zweiten Salve zogen sich die Arkebusiere nach hinten zurück, während nun die Hellebardenträger die vorderste Front bildeten. Hinter ihnen standen die Armbrustschützen. Sie traten für den Schuss nach vorn und schossen gezielt auf die gegnerischen Anführer, die sie längst ausgemacht hatten.
    Die Maguá waren den Bolzen schutzlos ausgeliefert, da sie selbst die starken Schilde aus Holz mühelos durchschlugen. Häuptling Guarocuya, der auf einem Hügel neben mir stand, war einer der ersten Anführer, die fielen. Ein Bolzen traf ihn direkt in die Stirn, ich sah ihn mit verdrehten Augen lautlos nach hinten fallen. Das Triumphgeheul der Spanier glich nun einem Tosen, obwohl auch in ihren Reihen die Ersten zu Boden sanken. Nun traten die Armbrustschützen wieder hinter die Hellebardenträger zurück. Diese senkten ihre Waffen und ließen die Indios in die scharfen Eisen laufen.
    Das war der Moment, in dem die Kavallerie eingriff. Die zwanzig Reiter, bewaffnet mit Degen und leichter Lanze, preschten in die Flanke der Maguá. Dort töteten sie mit der bewährten Taktik Heide um Heide, indem sie, wenn sie einen vor sich hatten, die Distanz mit wenigen Galoppsprüngen verkürzten und ihn dann blitzschnell aufspießten. Immer attackierten die Reiter in Vierergruppen, um sich gegenseitig zu schützen. Und auch die mächtigen Kriegshunde, von Lederkollern geschützt, wurden von ihren Führern auf die Heiden gehetzt. Sie zerrissen viele von ihnen in der Luft. Aber auch die Spanier befanden sich nun im Nahkampf. Hier waren sie durch den meisterhaften Gebrauch ihrer Degen ebenfalls überlegen, denn die meisten von ihnen waren Hidalgos, die sich schon seit frühester Jugend im Gebrauch dieser leichten, gut ausbalancierten Waffe übten. Die Waffen der Indios hingegen sind viel schwerer, sodass ihre Träger schneller ermüden. Zudem praktizieren die Indios den viel langsameren Hieb, während die Hidalgos den schnellen Stoß bevorzugen und durch Parade und Riposte jederzeit aus der Verteidigung in den Gegenangriff übergehen können.
    Eine halbe Stunde später war die Ebene übersät mit den Leichen und Verwundeten der Maguá. Ich glaube, dass es weit mehr als die Hälfte der Männer waren. Der Rest floh in alle Richtungen, verfolgt von den Reitern, die nach Möglichkeit keinen entkommen ließen.
    Die Spanier, die nicht mehr als zehn Mann verloren hatten, stürmten nun das Dorf, während ich mich voller Furcht zwischen Felsen verbarg. Ich hörte die schrillen Schreie der Frauen, denen nun Gewalt angetan wurde, und das Todesröcheln der Alten. Die Hunde bellten wie wahnsinnig, Pferde wieherten schrill, Schüsse krachten und Schädel brachen mit hässlichen Geräuschen.
    Es dauerte zwei weitere Stunden, bis sich unerträgliche Stille über den Schauplatz des Massakers gesenkt hatte. Irgendwann zogen die Spanier wieder ab. Ich sah, dass sie zahlreiche Sklaven mit sich führten, Männer und Frauen, ohne zu erkennen, wer die Unglücklichen waren.
    Mit klopfendem Herzen watete ich durch Ströme von Blut und drückte unter Gebeten Hunderte von Augenpaaren zu, die blicklos gen Himmel starrten. Voller Verzweiflung suchte ich Higuemota, aber ich konnte sie unter den Leichen nicht finden. Danach wurde ich zum hoffnungslosen Wanderer zwischen den Welten, ich hielt mich mal bei den Spaniern auf und dann wieder bei den Indios. Beide Seiten duldeten mich, obwohl sie mich nicht besonders schätzten.
    Mein weiteres Schicksal führte mich dann mit meinen Mitreisenden zusammen und in der Folge zur Hafenstadt Santo Domingo an der Südküste Hispaniolas und auf die Karavelle, mit der wir in die Alte Welt zurücksegeln wollten, der Neuen ganz und gar überdrüssig. Doch auch auf dem Schiff blieb das Grauen mein Begleiter. Während eines Sturmes, als wir unter Deck saßen und uns verzweifelt festklammerten, stellte sich die Karavelle mit einem Mal auf, als führe sie einen gigantischen Wellenberg empor!
    Uns blieb kaum Zeit, unsere Angst hinauszuschreien. Das Letzte, was ich wahrnahm, war ein blaues Leuchten, das plötzlich um mich war…
    ***
    Nordmeer, September 2525
    Seit vielen Tagen schon bewegte sich die schattenhafte Karavelle über die endlose Wasserwüste. Nach wie vor

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