272 - Dieser Hunger nach Leben
als würde Mutter selbst durch ihre Augen sehen.
Sein Widerstand brach. Bartolomé berührte die Blonde, nahm ihr den Glanz und alle Lebenskraft, während ihm Higuemota dabei zusah und zufrieden lächelte.
»Gut so, mein Geliebter«, lobte die Häuptlingstochter. »War es denn so schlimm, Mutters Willen zu erfüllen? Komm, nun holen wir uns die restlichen Lebensenergien der Dorfbewohner! Keiner darf uns entkommen.«
Bartolomé schauderte.
Das ist nicht Higuemota, die zu mir spricht , dachte er, noch ganz benommen von seiner Tat und der gewaltigen Energiemenge, die er in sich aufgenommen hatte. Er starrte die Taino an. »Ich kann es nicht mehr, mi corazón. Es ist Sünde, was wir tun, große Sünde. Kein Christ darf einem anderen Menschen das Leben nehmen, selbst wenn es Heiden sind. Und es sind Christen, die in diesem Dorf leben. Siehst du das Kreuz mit unserem Herrn Jesus Christus an der Wand? Gott der Herr wird mir niemals verzeihen…«
»Tu es für mich, mein Geliebter. Dann wirst du ewig im Himmel sein.«
»Warum tust du es nicht, mi corazón?«
Wortlos drehte sie sich um und ging nach draußen. Bartolomé folgte ihr. Zwei Dorfbewohner kamen panisch auf sie zu gerannt. Miguel Hernando Juan Rodriguez Felipe Nuenzo war dicht hinter ihnen.
Auch Bartolomé rannte los, in Richtung der beiden Menschen. Es schien, als würde er sich mit Nuenzo ein Wettrennen liefern, wer sie als Erster erreichte. Doch dann… lief er an den Menschen vorbei und rammte den anstürmenden Nuenzo!
Dessen Schattenkörper war durch die Seelen, die er bereits aufgenommen hatte, fest genug, um dem Dominikaner Widerstand zu bieten. Die beiden Schatten prallten aufeinander und stürzten zu Boden.
»Flieht!«, rief Bartolomé den Menschen zu und sah, dass sie an Higuemota vorbei liefen, ohne dass diese sie zu berühren versuchte. Sie verschwanden in der Nacht.
»Warum habt Ihr das getan, Pfaffe?«, brüllte Nuenzo los, kämpfte sich auf die Beine und zog seinen Degen.
»Ja, warum hast du das getan?«, fragte Higuemota, die zu den beiden Männern trat und Nuenzo einen Wink gab. »Verfolge sie weiter! Sie dürfen nicht entkommen!«
Der Schatten schnaubte verächtlich, steckte den Degen wieder ein und lief in die Richtung weiter, in der die beiden Menschen verschwunden waren.
Higuemota nahm Bartolomé bei der Hand. »Du nimmst uns die Nahrung, die wir zu unserem Überleben brauchen. Uns allen«, sagte sie leise und schaute ihn wehmütig aus ihren großen schwarzen Augen an.
Der Mönch schüttelte den Kopf. »Es gibt Wichtigeres als das irdische Dasein, mi corazón. Ich kann es nicht mit Gott und meinem Gewissen vereinbaren, Menschen nur um meines Vorteils willen zu töten.«
Die Taino strich ihm zärtlich über die Wange. »Deine Sorge ist unbegründet, mein Geliebter. Hast du es denn immer noch nicht begriffen? Durch den blauen Strahl, in den wir einst eingingen, sind wir in den Himmel aufgefahren und längst in Gottes Obhut. Er ist es, der sich uns als Mutter offenbart und will, dass wir weitere Menschen in sein Reich führen, indem wir ihre Seelen nehmen und somit direkt zu ihm bringen. Was wir tun, ist also nicht gegen Gottes Willen, es ist vielmehr sein Wille.«
» Mutter… ist Gott?«
»Ja.«
»Es fällt mir schwer, dies zu glauben.«
In der Zwischenzeit hatten die Schatten das komplette Dorf versteinert. Auch der Hundejunge kehrte zurück; auf Mutters Befehl hin hatte er die Verfolgung des hageren Mannes und des Mädchens mit den Glanzspuren aufgenommen. Doch die beiden hatten sich in eine Höhle geflüchtet, die in einem Steilhang lag und nur mit einer Strickleiter zu erreichen war: Da el cánido schon zu körperlich geworden war und nicht mehr einfach hinaufschweben konnte, hatte Mutter ihn zurückbeordert, und er hinterließ nichts weiter als verdorrtes Gras vor der Höhle.
Nun kehrt zurück zum Schiff und gebt die Energie ab, die ihr gesammelt habt , sagte Mutter. Danach werden wir uns den zweiten Tachyonenträger holen, der auf dieser Insel weilt! Er ist nur wenige Minuten… Sie hielt inne, und als sie weitersprach, klang ihre Stimme verblüfft: Was tust du, mein Schatten Bartolomé?
Jetzt erst bemerkten die anderen, dass er nicht mehr bei ihnen war. Unbemerkt hatte der Schatten des Dominikaners die Gruppe verlassen, war zwischen den Hütten verschwunden.
Holt ihn zurück! , befahl Mutter - und schottete ihre nächsten Gedanken gegen die anderen ab. Niemand im Kollektiv sollte erfahren, dass sie vom Tun
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