2721 – Der Paradieb
Geisteszustand in Erfahrung zu bringen, als herkömmliche Gedankenleser.«
»Weil meine Fähigkeit anders gelagert ist ...?«
»Genau. Die Vermutung liegt nahe, dass sich bei dir die telepathische Grundbegabung wegen deiner Blindheit anders ausgebildet hat als üblich. Das Bewusstsein will sehen, und es hat sich einen paranormalen Weg verschafft, das zu leisten.«
»Direktor Athapilly vertritt dieselbe Theorie.«
»Rat mal, von wem ich sie habe! – Letzten Endes handelt es sich bei dem, was wir Parafähigkeiten nennen, um nichts anderes als um Wechselwirkungen zwischen der mentalen und der realen Dimension des Multiversums. Verändert sich die mentale Konfiguration, kann sich auch die Art der Wechselwirkung mit der Realität verändern.«
»Auch bei Gucky? Nach all den Jahrtausenden?«
»Auszuschließen ist es nicht.«
Der Junge spitzte die Lippen, verkniff sich den Pfiff aber dann doch.
*
Sie erreichten die Klinik, bekamen schneeweiße Kittel ausgehändigt und betraten wenig später das erwähnte Labor.
Severins Begeisterung, Gucky sehen zu dürfen und seinem Idol vielleicht sogar beistehen zu können, wandelte sich zu Beklommenheit. Der Ilt schwebte in einem Antigravfeld. Nahrung wurde ihm über Schläuche zugeführt; andere Schläuche entgifteten den kleinen, schrecklich kraftlos wirkenden Körper.
Neben den HÜ-Schirm-Projektoren standen zwei schwere Kampfroboter. TARA-Standardmodelle, schätzte Severin, der kein großer Militärexperte war. Er empfand die Maschinen als bedrohlich, und die gesamte Atmosphäre im Raum bedrückte ihn.
Übrigens ließ Guckys Anblick auch Professor Bouring keineswegs kalt. Severin nahm tiefes Mitgefühl und weit mehr als professionelle Besorgnis um den Patienten wahr, zugleich die zaghafte Hoffnung, es könne endlich doch Besserung eintreten.
Der Mausbiber wand sich langsam, wie gequält. Ab und zu bewegten sich die kurzen, kindlich dünnen Gliedmaßen unkoordiniert und unnatürlich.
»Ist ... War er immer so?«, flüsterte Seve. »Seit seiner Rückkehr, meine ich?«
»Nein. Lange Zeit war er körperlich vollkommen inaktiv, wie gelähmt. Guckys jetzige Verfassung, auch wenn sie nicht schön anzusehen ist, betrachte ich als positives Zeichen, dass er dem Erwachen allmählich näher rückt.«
»Er tut mir so leid.«
»Rhodan hat ihn oft besucht und mit ihm gesprochen. Aber ich glaube nicht, dass er zu seinem Freund durchdringen konnte.« Bouring ging zu einem Pult. »Ich schalte eine Schleuse durch den HÜ-Schirm. Fühlst du dich bereit ...?«
Severins Mund war auf einmal trocken. »Ja«, krächzte er.
*
Sie traten ins Innere der grünlich schimmernden Energiesphäre und bis auf einen Meter an Gucky heran.
Die kleine, zerbrechlich wirkende Gestalt zitterte. Aus dem leicht geöffneten Mund, in dem sich der einzige Nagezahn erkennen ließ, drang ein kaum hörbares Wimmern.
Unwillkürlich ergriff Bouring den jungen Mutanten am Oberarm. »Das ist neu, das hat er in den letzten zwei Jahren nie gemacht.«
»Töne von sich gegeben?«
»Ja.« Bouring überflog die intensivmedizinischen Anzeigen. »Der Aufwärtstrend der letzten Tage hält an, er verstärkt sich sogar. – Oh! Bitte entschuldige.« Er ließ Focks Arm wieder los.
»Nichts passiert.«
»Kannst du ... Ich meine, nimmst du etwas wahr?«
»Nein.«
»Gar nichts?« Bouring bemühte sich, die aufkeimende Enttäuschung zurückzudrängen.
»Zumindest nicht ohne mein Zutun.« Der Junge verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Automatisch funktioniert das nur bei wachen Personen. Hier werde ich mich wohl ein wenig mehr konzentrieren müssen.«
»Verstehe. Dann störe ich dich besser nicht länger.«
Fock nickte. Seine Gesichtszüge erschlafften. Nur die Lippen bewegten sich leicht; sie formten unhörbare Laute.
Einige Minuten verstrichen. Dann spannte sich die Kiefermuskulatur des Jungen an, als hätte er auf etwas sehr Saures oder Scharfes gebissen. »Puh«, sagte er. »Das geht an die Substanz.«
»Inwiefern?«
»Schwer zu beschreiben. Da ist ein lichtloses, traumloses, mentales Fluidum. Zäh, es setzt mir Widerstand entgegen, wie ... flüssiger Schatten. Und dahinter stoße ich immer wieder auf eine schwarze, ungefüge, unstrukturierte Wand.«
»Glaubst du, du kannst sie durchdringen?«
»Möglich. Falls ich die richtige Stelle finde. Aber es kostet mich viel Kraft. Ich muss eine Pause einlegen, bevor ich den nächsten Versuch starte.«
*
Wieder und wieder setzte
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