279 - Der Fluch von Leeds
Burgherrin. Mit prüfenden Blicken kletterten sie in dem Gerüst herum. Zogen hier ein Befestigungsseil an, schlugen dort einen Nagel ins Holz. Dabei wechselten die beiden weder Worte noch Blicke. Als sie jedes Brett, jede Stiege geprüft hatten, begannen sie wieder von vorn.
Auch beim kleinen Garten neben der Burg wurde geschwiegen. Dort zupfte das junge Hausmädchen Leylaa welkes Laub von den Beeten und die ältere Ayrin, die Mutter der zukünftigen Burgherrin, saß mit ihrem Strickzeug auf der Bank vor der Gartenpforte. Angestrengt kniff sie die Augen zusammen, um die Maschen des winzigen Sockenbündchens überhaupt sehen zu können. Ihre Brille lag auf der Anrichte im großen Speiseraum. Sie hatte sie liegen lassen, als sie, ihre Söhne und Leylaa vorhin fluchtartig das Haus verlassen hatten. Und lieber würde sie erblinden, als dorthin zurückzukehren, um sich die Sehhilfe zu holen.
Denn im Speisesaal lieferten sich der Burgherr und ihre Tochter Myrial eine lautstarke Auseinandersetzung. So lautstark, dass Ayrin langsam zu zweifeln begann, ob Myrial überhaupt die künftige Burgherrin werden sollte. Ayrin mochte ja diesen Rulfan von Salisbury. Ein kluger Mann. Stattlich und gutaussehend mit seinen breiten Schultern, den langen weißen Haaren und dem warmen Blick seiner roten Augen. Doch er sollte wirklich dafür sorgen, dass Myrial sich nicht so aufregte. Gerade jetzt. Hilflos blickte die Frau auf das Strickzeug in ihren Händen, während sie den Stimmen hinter dem Burgfenster lauschte.
»Warum bist du überhaupt noch hier?«, schrie Myrial. »Nimm doch deine Sachen und zieh gleich ganz in das Castle von Jed Stewart! Dann hast du deinen Patric Pancis Tag und Nacht um dich und brauchst dich nicht mehr hierher zu bemühen!« Sie stand vor der Anrichte und sah aus wie ein Racheengel. Rote Haarsträhnen hatten sich in ihr bleiches Gesicht verirrt. Eine tiefe Zornesfalte stand ihr auf der Stirn und ihre Augen schienen zu lodern.
Doch in dem Albino brannte selbst ein Feuer. Wütend verließ er seinen Platz am Fenster und trat zu dem Tisch, der ihn von seiner Geliebten trennte. »Ich bespreche die Pläne für den Bau des Luftschiffes, wann und wo ich will. Und das hier ist mein Zuhause, in das ich zurückkehre, wann es mir beliebt«, brüllte er und ließ seine Hand auf die Tischplatte krachen.
Myrial zuckte zusammen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und ihr zierlicher Körper bebte. »Dann will ich hier nicht länger stören!«, rief sie mit erstickter Stimme und lief zur Tür.
»Warte!« Rulfan stürmte ihr nach. »So habe ich das nicht gemeint!« Er zog ihren zitternden Körper an seine Brust und strich ihr durchs Haar. »Ich kenne dich nicht wieder, Myrial. Was geht nur in dir vor? Du wusstest, auf wen du dich einlässt. Ich habe dir nichts verschwiegen von dem, wie ich mein Leben führen möchte. Was also erwartest du von mir?«
Zögernd löste sich die Freundin aus seinen Armen. Wischte sich die Tränen von den Wangen und reckte das Kinn. »Ich bin schwanger, Rulfan. Bereits seit vier Monden. Und ich will für unser Kind einen Vater, der nicht ständig unterwegs ist, um Geräte zu bauen, mit denen er auf und davon fliegen kann, wenn das Leben mit Frau und Kind ihm zu eintönig geworden ist.«
Erschrocken lauschte der Albino ihren Worten. Sie ist schwanger. Ein Kind! Seine Brust schien sich mit Eis zu füllen und der Boden unter seinen Füßen fühlte sich an wie die schwankende Erde von Darkmoor . Er wich einige Schritte vor ihr zurück. Starrte in ihr bleiches Gesicht. »Das kann ich dir nicht versprechen. Niemals.« Damit kehrte er ihr den Rücken und taumelte zum Fenster. Weder achtete er auf Ayrin, die von der Bank beim Garten neugierig herüberblickte, noch auf die Tür, die hinter Myrial laut ins Schloss fiel. Seine Gedanken waren bei Lay. Seiner in Afra gestorbenen Lay und ihrem ungeborenen Kind. [4]
Niemals sollte so etwas noch einmal geschehen. Niemals! Doch hatte der Tod nicht auch schon nach Myrial gegriffen? Hatte er nicht die Hälfte ihrer Familie dahin gerafft? In Gestalt Ninians, einer fehlgeleiteten Killerin, die hier in seiner Burg wie eine Furie gewütet hatte. [5] Fast ein Jahr war das nun her. Die Mörderin lief immer noch frei herum. Konnte sie nicht jeden Tag zurückkehren und Myrial und das Kind… Plötzlich ergriff unbändige Wut den Albino. Wann endlich würde er seinen Frieden finden?
Mit geballten Fäusten wandte er sich vom Fenster ab, lief durch das Zimmer und riss die
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