282 - Der Schein trügt
Wort noch, Jolii!«, rief ihr Sarah Kucholsky nach. »Wie lange waren wir versteinert?«
»Mehr als einen ganzen Jahresumlauf!«
Blankes Entsetzen schlich sich in die Gesichter der Technos. Im Moment verspürte keiner mehr große Lust auf weitere Fragen.
***
Gegenwart
Die beiden Männer gingen raschen Schrittes über den breiten Pier, der die Insel Cornock(Die ehemalige Insel Cornet Rock mit Cornet Castle darauf war schon vor dem Kometeneinschlag Teil der Hafenanlagen von St. Peter Port.) mit Sainpeert verband. Sie hatten gut fünfhundert Meter zurückzulegen und kamen dabei an sieben Geschützstellungen vorbei. Die schräg nach oben zeigenden Rohre der riesigen 88-mm-Flugabwehrkanonen, die einst die deutsche Wehrmacht auf die Insel gebracht hatte, waren über die Hafenanlage hinweg ausgerichtet. Trotzdem wirkten sie geradezu winzig im Vergleich zu dem stählernen Koloss, der seit gestern am Cornock-Kai ankerte. Noch nie war ein derart großes Schiff im Hafen von Sainpeert vor Anker gegangen, obwohl das weitläufige Tiefwasserbecken, das zangenförmig von Pier- und Kaianlagen umgeben wurde, noch wesentlich größere Schiffe hätte aufnehmen können.
Die beiden Männer waren sichtlich nervös, als sie vor der EIBREX IV standen. Etwa zwanzig Matrosen waren unter lauten Rufen damit beschäftigt, die verschiedensten Waren aus Sainpeert über eine Gangway in den Schiffsbauch zu verladen. Soeben wurden Käfige mit laut blökenden Shiips hinein gehievt.
Vier finster aussehende Männer, die automatische Gewehre umgehängt hatten, überwachten die Arbeiten mit misstrauischen Blicken. Sie trugen dunkelblaue Uniformen mit einem roten, aufgerichteten Löwen im Brustbereich und dicke, vorne offene Jacken darüber. Denn selbst im klimatisch milden Guunsay wehte um diese Jahreszeit ein kühler Wind. Hin und wieder gaben die Wachen kurze, scharfe Anweisungen.
Eine von ihnen trat den Neuankömmlingen entgegen. »Was wollt ihr?«, bellte der Mann unfreundlich.
»Mein Name ist Heerb, mein Begleiter heißt Anteen«, ergriff der Größere der Männer das Wort. Im Vergleich zu der muskelbepackten Wache wirkte er aber geradezu schmächtig. »Wir gehören zur Hafenkommandantur und kommen im Auftrag des Hafenkommandanten Sampson. Er wünscht dringend den Kapitaan dieses Schiffes zu sprechen.«
»So, wünscht er. Um was geht es?«
»Um eine mögliche Reduzierung der Hafengebühren. Aber darüber will er nur mit dem Kapitaan persönlich verhandeln, nicht mit dem Maat. Es muss zudem jetzt sein, da Kommandant Sampson noch heute Nachmittag wegen dringender Geschäfte für einige Tage verreisen muss.«
»Hm. Wartet hier.« Die Wache kletterte über eine Seitentreppe hoch an Deck. Ein paar Minuten später kam sie in Begleitung eines mittelgroßen, schlanken Mannes mit langem schmalen Gesicht, einer leeren Augenhöhle, dichten Locken, Vollbart und einem wahren Horsaygebiss zurück.
»Ich bin Kapitaan Will Wadeel«, stellte sich der Pferdegesichtige vor. Auch er trug die dunkelblaue Uniform mit dem roten Löwen und eine Kapitaansmütze mit weißem Schirm. »Heute wünscht also der Hafenkommandant persönlich mit mir zu verhandeln, nachdem er mir bisher nur untere Chargen geschickt hat. Also gut, dann will ich ihn nicht warten lassen, den Hafenkommandanten, denn er scheint ja ein vielbeschäftigter Mann zu sein.«
Heerb und Anteen ignorierten den offenen Spott und gingen voraus. Wadeel folgte in Begleitung zweier Wachen, die ihre Gewehre im Anschlag hielten und sich misstrauisch umsahen.
Plötzlich blieb Wadeel stehen, drehte sich und deutete auf den mächtigen Stahlgitterzaun, der die komplette, etwa dreihundert Meter breite Hafeneinfahrt versperrte und drei Meter über den Wasserspiegel ragte. Weiß gischtende Schaumkrönchen brachen sich an ihm und den vier flachen Stahlgittertürmen, an denen der Zaun hing. Sie ragten im Abstand von etwa sechzig Metern aus dem Wasser. »Interessante Konstruktion, diese Hafenbarriere. Stammt sie noch aus der Zeit vor Kristofluu ?«
Heerb und Anteen stoppten ebenfalls. Ersterer schaute nervös in Richtung Stadt. »Nein«, antwortete er dann ein wenig widerwillig, »der Zaun ist relativ neu. Der Vater unseres jetzigen Lordkanzlers Gundar hat ihn vor etwa dreißig Sommern errichten lassen. Aber nicht gegen Feinde, sondern gegen Meeresungeheuer, Seeschlangen und anderes Viehzeug. Die sind immer wieder in den Hafen geschwommen und haben Verwüstungen an Schiffen und Anlagen angerichtet. Seit es den Zaun
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